Die Sonnwendherrin
bösen Schwestern das Mädchen in einem jener riesigen Kessel gezüchtet, in denen sie sonst diese unsäglichen Kräuterbrühen kochen. Wo sie auch herkam, jedenfalls konnte Jaga das Mädchen nicht hierbehalten. Die alte Frau ist eine Einzelgängerin, weißt du. Für zwei ist kein Platz in der Hütte mit den Hühnerbeinen.«
Iwan dachte darüber nach. Die Hütte war tatsächlich nicht besonders groß. Aber – wie konnte man jemanden in einem Kochkessel züchten? Und wer waren Jagas böse Schwestern? Er hätte es gern gewusst, aber er hielt den Mund.
|198| »Also«, fuhr der Wolf fort, »hat sie mir Elena anvertraut. Und ich wiederum brachte sie zu dem einzigen Mann, dem ich zutraute, sie unter Menschen aufzuziehen. Einem Kräuterheiler, der bereits eine junge Tochter hatte, so dass Elena eine perfekte jüngere Schwester für sie abgab.«
Es lag etwas in der Art, mit der der Wolf die Schnauze vorstreckte, als er von einem »Kräuterheiler« sprach, dass es Iwan schnell dämmerte. »Gleb«, flüsterte er.
»Ja, Gleb«, wiederholte der Wolf. »Gleb und seine Tochter Praskowja.«
Iwan versuchte, sich alles ins Gedächtnis zu rufen, was er von Gleb wusste. Das war auf jeden Fall nicht viel. Der alte Heiler hatte ihm eine Menge erzählt, aber nichts über sein eigenes Leben – nur über Kaschtschej und Marja. Ansonsten wusste er nur, dass der Wolf ihn als
seinen
Kräuterheiler bezeichnet hatte. Und dann hatte Gleb aufgegeben, so dass der Wolf sich einen anderen Heiler suchen musste, Nikifor. Einen weiteren Heiler mit einer traurigen Sonnwendgeschichte. Vielleicht hatte auch Gleb seine Tochter als Sonnwendopfer verloren?
Diese Annahme musste sich auf Iwans Miene abgezeichnet haben, denn der Wolf fuhr nun fort: »Halt dich bloß nicht für so schlau, Junge! Du glaubst jetzt alles zu wissen, aber das stimmt nicht. Elena hat Gleb freiwillig verlassen. Sie lernte einen Mann kennen und verliebte sich in ihn, und Gleb als guter Vater konnte nicht anders, als zu einer Heirat seinen Segen zu geben.«
»Und, dann
..
.
«, fragte Iwan bedächtig, »was ist denn dann aus Elena geworden?«
Der Wolf grollte lautstark. »Sagen wir mal, was auch geschah, Baba Jaga hat mich dafür verantwortlich gemacht. Sie meinte, wenn ich nicht Elena an Gleb übergeben und eingegriffen hätte, als sie Glebs Haus verließ und ihren eigenen Hausstand gründete, hätte ich sie retten können! Vielleicht |199| hatte sie recht. Ich war schließlich dabei. Aber ich habe nicht eingegriffen. Als Jaga den Fluch über mich aussprach, der mich in ihrer Umgebung in ein gewöhnliches Tier verwandelte, hatte ich das Gefühl, ich hätte es verdient.«
Er schwieg und trottete voran. Iwan wagte nicht, noch mehr Fragen zu stellen. Dies ging über verständliche Neugier weit hinaus. Möglich, dass er kein Recht hatte, alles zu erfahren.
Doch einen oder zwei Werst weiter fuhr der Wolf fort. »Du hast einmal wissen wollen, warum ich Kaschtschej stürzen und die Weissagung erfüllen will«, sagte er. »Ich schätze, nun, da wir drauf und dran sind, sie zu erfüllen, verdienst du es, die Wahrheit zu erfahren. Schließlich wirst du möglicherweise sterben, und dann muss ich mir auch noch für deinen Tod Vorwürfe machen, nicht nur für den Tod all jener, die vor dir bereits versagt haben.« Nach einem Moment des Schweigens fügte er hinzu: »Vielleicht hat Baba Jaga recht. Ich kann nicht ungeschehen machen, was passiert ist. Aber soweit ich weiß, lohnt es sich durchaus zu verhindern, dass diese Ereignisse sich wiederholen.«
»Also war es Kaschtschej, der Elena heiratete, stimmt’s?«, stellte Iwan fest.
»Nein«, widersprach der Wolf. »Kaschtschej war nicht derjenige, der sie heiratete. Aber er war derjenige, der sie tötete!«
Iwan hatte gar nicht bemerkt, dass ihre Umgebung immer vertrauter wurde. Sie befanden sich wieder in jener kränklichen Moorlandschaft im Neununddreißigsten Königreich. Lange Flechtenbärte hingen von den Zweigen alter, knorriger Bäume, so, wie Bauersfrauen ihre Bettlaken zum Trocknen in die Sonne hängen. Es war später Nachmittag, aber die Sonne stand noch hoch am Himmel. Dies |200| war der längste Tag des Jahres, und es waren noch einige Stunden bis zum Sonnenuntergang.
Die würden sie auch benötigen, um zur Lichtung des Opferteichs zu gelangen.
»Und nun«, sagte der Wolf, »muss ich dir sagen, was du zu tun hast. Oder, viel wichtiger, was du nicht tun darfst.«
»Ich glaube, ich weiß schon, was ich tun muss«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher