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Die Sonnwendherrin

Titel: Die Sonnwendherrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
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Sud.
    Ich ging zu einem trockeneren Fleckchen, ein Stück vom Wasser entfernt, wo sich die Tannen dunkel ballten, als bewachten sie diesen Teil des Waldes. Tief atmete ich den frischen Geruch der Nadeln und der Erde ein, warf mit einer Kopfbewegung das feuchte Haar auf den Rücken und beugte mich hinab, um die dunkelroten Tollkirschen besser sehen zu können, die hier für gewöhnlich wuchsen. Ich benötigte nur ein paar.
    Da leuchtete ein purpurner Fleck. Ich griff ins hohe Gras und zog eine Blume heraus.
    Vor Furcht wie gelähmt, hielt ich sie vor meine Augen. Die frischen Kräuter, die ich gerade gesammelt hatte, fielen wie ein Regen von Farben und Düften aus meinen Armen. Ich stand erstarrt da und sah auf die Blume in meiner Hand.
    Das Purpur, das mir aufgefallen war, kam nicht von einer Blüte. Bei der eigenartigen Pflanze, die ich in der Hand hielt, hatten sich die oberen Blätter purpurn verfärbt, um die leuchtend gelben Blüten darunter zu überdecken. Für das ungeübte Auge wirkte das, als säßen zwei verschiedene Blumen am selben Stiel.
    Iwan-und-Marja.
    Diese Pflanze brauchte ich gewiss nicht für meinen Trank. Soweit ich mich erinnern konnte, war sie noch nie in diesem dichten Gras unter den überhängenden Tannenzweigen gewachsen. Was ließ mich gerade jetzt darüber stolpern, in diesem heiligen Augenblick? Was trieb mich dazu, sie nicht nur zu bemerken, sondern sie auch noch irrtümlicherweise zu pflücken?
    |207| Ich warf die Blume so weit weg wie möglich und setzte mich schwerfällig ins Gras, um meine heiligen Kräuter wieder aufzusammeln und die für meine Pflichten notwendige Konzentration wiederzufinden.
    Als ich schließlich die Lichtung betrat, auf der die Sonnwendfeier stattfinden sollte, war es fast schon dunkel. Nur über den Baumkronen im Westen sah man noch ein wenig Tageslicht. Doch auch das würde nun bald verblassen, da das mächtige Feuer im Mittelpunkt der Lichtung immer höher aufflammte. Ich ging langsam auf das Feuer zu, wo bereits ein großer Kessel mit kochendem Wasser für mich bereitstand. Die Menschen auf der Lichtung, die mir hastig Platz machten, bemerkte ich kaum. Ich schritt dahin, die Arme voller Kräuter, und war ganz erfüllt von meinem Zauberreim.
    Praskowja trat vor und führte mich zu meinen Dienerinnen, die einen Kreis um den Kessel bildeten und mich dadurch vor den Blicken der Umstehenden schützten, damit ich Ruhe hatte, um meine Magie wirken zu lassen. Ich setzte mich ins Gras, sang den Zauberreim, sortierte die Kräuter und zählte sie genau ab, um die richtige Anzahl für den Trank der Liebe zu haben.
    Kräuter des Zaubertranks, sechs und sechs,
    gebunden durch den Willen der Sonnwendhex,
    hell sind sechs und dunkel auch,
    so will es die Macht und Kupalos Brauch.
    Ich zählte die Stängel der Glockenblumen ab und zerdrückte sie mit beiden Händen, bevor ich sie in den Kessel warf, einen nach dem anderen. Das Wasser verfärbte sich ein wenig, und ich fügte die Kamille hinzu. Ich riss die Blüten von den langen, zähen Stängeln und warf sie in den Sud. Die Kamille erzeugte einen kräftigen Geschmack und ließ ihren Duft über dem Kessel aufsteigen. Mein Kopf wurde langsam klarer |208| durch den Kräuterduft. Das war meine Welt. Hier fühlte ich mich stark.
    Durch diesen schweigenden magischen Kreis hindurch konnte ich die Stimmen von außerhalb vernehmen. Die Menschen sangen, während sie in einem feierlichen Reigen über die Lichtung schritten. Doch ich beachtete sie nicht.
    Die Kräuter des Lichts wirf einfach hinein:
    Glockenblume und Kamill müssen drin sein,
    Katzenminz, Klee, bunt durcheinander,
    dazu noch Lichtnelk und Oleander.
    Katzenminze sank in die Tiefe des Kessels, gefolgt von duftenden Kleeblüten mit ihrem süßen Honig, den leuchtend hellen Lichtnelken und einem Armvoll Oleanderblüten. Mein Häufchen an Kräutern wurde kleiner, während die Brühe dicker wurde und ganz langsam diesen schweren süßen Geruch annahm, der den Kopf schwimmen ließ, atmete man ihn zu tief ein. Doch der Trank war erst zur Hälfte fertig und der Geruch noch nicht ganz so, wie er sein sollte.
    Ich sah, wie sich die dicke Flüssigkeit dunkelblau färbte, beinahe schwarz, und Kreise zog, als die letzten Oleanderblüten in den dunklen Tiefen verschwanden. Und dann begann die Farbe des Tranks zu verblassen, bis sie dem Farbton eines Amethysten glich. Ein Amethyst – der Stein der Nüchternheit.
    Es war Zeit für die dunklen Zutaten, die dem Duft die endgültige Note

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