Die Sphaeren
klingen.
Hyrlis nickte. »Wenn wir annehmen, dass alles, was man uns gesagt hat, ebenso real ist wie unsere Wahrnehmung – mit anderen Worten, dass all die historischen Folterungen, Massaker und Völkermorde wirklich geschehen sind -, so folgt daraus die Frage: Müssen nicht jene, die eine solche Simulation kontrollieren, wahre Ungeheuer sein? Wie sehr muss ihnen Anstand, Mitgefühl und Anteilnahme abgehen, wenn sie zulassen, dass so schreckliche Dinge unter ihrer Aufsicht passiert sind und weiterhin passieren? Denn ein großer Teil der Geschichte besteht genau daraus, meine Herren.«
Sie erreichten die andere Seite des großen Raums, wo schräge Fenster Ausblick auf die pockennarbige Landschaft weiter unten gewährten. Hyrlis vollführte eine Geste, die sowohl den Körpern in den Sargbetten galt als auch dem stellenweise glühenden Land.
»Krieg, Hunger, Krankheit und Völkermord. Der Tod, in Millionen unterschiedlicher Arten, für die betreffenden Personen oft schmerzhaft und qualvoll in die Länge gezogen. Welcher Gott würde sein Universum so gestalten, dass die Bewohner solches Leid erfahren und anderen zufügen? Welcher Simulationskontrolleur oder Schiedsrichter bei einem Spiel würde die Ausgangsbedingungen so mitleidslos festlegen? Gott oder Programmierer, an der Anklage würde sich nichts ändern: Man würde beiden fast unendliche sadistische Grausamkeit zur Last legen, absichtliche, vorsätzliche Barbarei in einem entsetzlichen Ausmaß.«
Hyrlis richtete einen erwartungsvollen Blick auf Ferbin und Holse. »Verstehen Sie?«, fragte er. »Wenn wir von solchen Überlegungen ausgehen, müssen wir zu dem Schluss gelangen, dass wir uns auf dem Basisniveau der Realität befinden
– oder auf dem höchsten, wenn man es aus einem anderen Blickwinkel sieht. Die Realität kann uns ungeniert die absurdesten Zufälle präsentieren, die uns in keinem Werk der Fiktion glaubwürdig erschienen, und so ist nur die Realität – letztendlich hervorgebracht von Materie im Rohzustand – in der Lage, so gedankenlos grausam zu sein. Nichts, das denken kann und Schuld, Gerechtigkeit und Moral versteht, wäre imstande, eine so grausame Unzivilisiertheit zu schaffen, ohne die absolute Verkörperung des Bösen zu sein. Es ist Gedankenlosigkeit, die uns rettet. Und uns auch verdammt, denn wir sind demzufolge die Schöpfer unserer eigenen Moral, und dieser Verantwortung können wir nicht entrinnen. Wir können keine Appelle an eine höhere Macht richten, die unsere Schritte gelenkt und uns zu Dingen gezwungen hat.«
Hyrlis klopfte an das transparente Material, das sie vom beobachteten dunklen Schlachtfeld trennte. »Wir sind Information, meine Herren. Das gilt für alle lebenden Wesen. Aber wir haben das Glück, in der Materie kodiert zu sein und nicht in einem abstrakten System als Partikelmuster oder stehende Welle der Wahrscheinlichkeit zu laufen.«
Holse hatte darüber nachgedacht. »Natürlich könnte Gott ein Mistkerl sein, Sir«, mutmaßte er. »Oder die Simulationsleute, wenn sie die Verantwortung tragen.«
»Das ist möglich«, sagte Hyrlis mit einem verblassenden Lächeln. »Jene über und hinter uns können das personifiziert Böse sein. Aber ein solcher Standpunkt wäre recht verzweifelt.«
»Und all das erklärt was?«, fragte Ferbin. Seine Füße waren müde, und er hatte das satt, was er für sinnlose Spekulationen
hielt. Sie kamen Philosophie gefährlich nahe, einem Bereich menschlicher Bestrebungen, dem er mithilfe einiger verzagter Lehrer kurze Besuche abgestattet hatte. Sie waren allerdings lange genug gewesen, um den felsenfesten Eindruck zu gewinnen, dass einen die Philosophie vor allem davon überzeugen wollte, dass man selbst nichts bedeutete, Schwarz Weiß war und gebildete Männer mit ihren Hinterteilen sprechen konnten.
»Man beobachtet mich«, sagte Hyrlis. »Vielleicht beobachtet man auch Ihre Heimat, Prinz. Es ist durchaus möglich, dass kleine Apparate wie jene, die mich im Auge behalten, Ihr Volk ausspionieren. Den Tod Ihres Vaters haben vielleicht mehr Leute gesehen, als Sie glauben. Und wenn man ihn einmal gesehen hat, kann man ihn wieder sehen, denn nur die Basisrealität lässt sich nicht vollständig wiederholen. Gesendetes kann aufgezeichnet werden und wird es in den meisten Fällen auch.«
Ferbin starrte ihn groß an. »Aufgezeichnet?«, wiederholte er entsetzt. »Die Ermordung meines Vaters?«
»Eine Möglichkeit, mehr nicht«, sagte Hyrlis.
»Von wem?«
»Von den Oct, Nariscene
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