Die Sphaeren
bevor er sich so an ihn gewöhnt hatte wie an eine harte Droge. Und er fragte sich auch, ob er das wirklich wollte.
Noch immer kletterte Dunst dem schiefergrauen Himmel entgegen und umhüllte die Türme – die meisten von ihnen senkrecht, andere schief oder umgestürzt – der Namenlosen Stadt. Hinter dem Gebäude, das wie andere bald den Fluten nachgeben würde, ragte nach wie vor der Fontänenturm auf, wie ein irres Ornament aus einem göttlichen Garten, und spritzte Wasser in alle Richtungen. Dahinter zeichneten sich im Sprühwasser gelegentlich die dunklen Konturen des großen Plateaus ab, das sich etwa in halber Höhe der höchsten Gebäude erstreckte und von dem viele Gelehrten und Experten des Wasserfalls glaubten, dass es das Zentrum der uralten Stadt bildete. Eine Wand aus Wasser fiel wie ein gefalteter, cremefarbener Vorhang in die Schlucht und wirbelte noch mehr Sprühwasser auf.
Oramen sah ein blaues Blitzen hinter dem Wasservorhang, und für eine Sekunde war er überrascht. Normalerweise hörte man die von den Sprengmeistern ausgelösten Explosionen nur und sah sie nicht. Und wenn man sie in der Dunkelheit bemerkte, war ihr Licht gelbweiß oder orange, wenn die Ladung nicht ihre ganze Sprengkraft entfaltete. Dann begriff er, dass er vermutlich einen Schneidbrenner gesehen hatte. Darin bestand eine der neuen Entdeckungen der Deldeyn: Sie hatten herausgefunden, wie man mit Elektrizität durch gewisse Metalle schneiden konnte – dabei kam es zu den beobachteten blauen Blitzen.
Andererseits: Die an den Ausgrabungen beteiligten Personen – ohnehin sehr nervöse und ausgesprochen abergläubische Leute – hatten in letzter Zeit noch mehr seltsame und ungewöhnliche Dinge berichtet als sonst. Die angeblichen Sichtungen häuften sich, seit das einzige externe Licht
von Kiesestraal kam und sie bei ihrer Arbeit das Hauptaugenmerk auf die Gebäude unterhalb des mehrere Kilometer großen Platzes richteten, wo es selbst mit den beiden Rollsternen Clissens und Natherley am Himmel dunkel gewesen wäre.
In einer solchen Düsternis zu arbeiten, im unzuverlässigen Licht immer wieder ausgehender Lampen, in einer Umgebung, die einen praktisch jeden Moment töten konnte, umgeben von den geisterhaften Überbleibseln einer unvorstellbar alten Stadt … Es war ein Wunder, dass sich die Leute überhaupt dorthin wagten; nicht, dass sie ungewöhnliche Dinge zu sehen glaubten. Dies war ein ungewöhnlicher Ort. Nur wenige Orte, von denen Oramen gehörte hatte, waren noch ungewöhnlicher.
Er hob den schweren Feldstecher an die Augen und hielt nach Menschen Ausschau. Wann und wohin auch immer man mit der nötigen Aufmerksamkeit blickte: Überall beim Wasserfall – so gewaltig, so unpersönlich, so ganz und gar von einem anderen Maßstab als dem der Menschen – gab es Leute, Tiere und Aktivität. Doch diesmal blieb Oramens Suche ohne Ergebnis. Der Feldstecher war der beste weit und breit, mit großen Linsen, um möglichst viel Licht einzufangen und den Augen die Arbeit zu erleichtern; aber es blieb zu dunkel, um Details wie einzelne Personen zu erkennen.
»Hier sind Sie! Sir, wir kriegen es mit der Angst zu tun, wenn Sie einfach so verschwinden.« Neguste Puibive trat mit mehreren Taschen und einem großen Regenschirm auf die Beobachtungsplattform und sah zur Tür zurück. »Er ist hier!«, rief er die Treppe hinunter. »Graf Droffo ist ebenfalls zugegen, Sir«, wandte er sich an Oramen. »Hoffentlich aber
nicht die Herren V und B.« Oramen lächelte. Neguste konnte Vollird und Baerth ebenso wenig leiden wie er.
Oramen hatte den beiden Rittern gesagt, dass ihre Präsenz nicht erforderlich war. Er hielt es nicht für notwendig, ständig Leibwächter so nahe bei sich zu wissen: Die Hauptgefahren in der Schlucht gingen nicht von Menschen aus, und er hielt sich von den Teilen der Siedlung fern, wo es zu Gewalttätigkeiten kam. Trotzdem begleiteten ihn die beiden mürrischen Männer, wenn er sich nicht Mühe gab, sie loszuwerden – sie behaupteten, dass ihnen tyl Loesp den Kopf von den Schulter reißen würde, wenn Oramen etwas zustieß.
Oramen verbrachte recht viel Zeit damit, Personen zu meiden, die er unangenehm fand. Zu ihnen gehörte General Foise, der die Verantwortung für Sicherheit und Schutz der Siedlung und des Wasserfalls trug. Der Mann, den Fanthile als treuen Vasallen tyl Loesps bezeichnet hatte, war in keiner Weise finster und gab durch nichts zu verstehen, etwas anderes zu sein als ein loyaler Funktionär der
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