Die Spionin im Kurbad
nicht.«
» Nein, als wir von Ihnen und Ihrer Arbeit hörten, lagen Sie selbst im Lazarett. Nichtsdestotrotz erschienen Sie uns eine bemerkenswerte Persönlichkeit, und – wissen Sie, Rudolf besitzt die Neugier einer Katze. Allerdings hat er sein Wissen nicht öffentlich gemacht. Das kann ich Ihnen versichern. Und er wird es auch nicht … mehr … tun.«
» Oh.«
Dem unsäglich traurigen Tonfall entnahm ich, dass jener Freund dem Ende seines Lebens entgegensah. Altea schien das auch so zu verstehen.
» Besuchen Sie uns, gnädiges Fräulein. Und bringen Sie, wenn Madame Sina es erlaubt, ein Kätzchen mit.«
Noch zögerte sie einen Augenblick, dann fragte sie: » Wo haben Sie Ihr Quartier genommen?«
» In der Kaiserkrone, Römerstraße 19 – nicht weit von hier. Und der Garten ist ebenso schön wie dieser.« Dann lächelte er. » Es wird sich auch ein Häppchen finden, das den jungen Helden mit seiner Aufgabe versöhnt.«
» Sahne und Quark werden sehr geschätzt.«
» Morgen Nachmittag? Man verspricht uns weiterhin sonniges Wetter, was die Arbeit mit dem Licht besonders erquicklich macht.«
» Gut, ich werde sehen, wieweit Sina bereit ist, mir eines ihrer Kinder anzuvertrauen.«
» Vielen Dank, Fräulein von Lilienstern. Wir freuen uns auf Ihr Kommen.«
Mit einer weiteren Verbeugung verabschiedete sich der Photograph. Altea ging langsam zu ihrer Liege zurück und hob Heft und Stift auf.
» Er gibt uns Geld für Futter, Sina. Ich werde abermals meinen Stolz hinunterschlucken und es annehmen.« Dann seufzte sie. » Was ist schon Stolz, nicht wahr?«
Stolz war etwas Lebensnotwendiges. Wer wüsste das besser als ich? Stolz auf die eigene Würde war eine Stütze, wenn man Tritte bekam. Besser vermutlich als ein Stock, wenn man eine kaputte Hüfte hatte. Aber wenn es um das nackte Überleben ging, dann war Futter doch noch wichtiger. Mir dämmerte allmählich, dass Altea und ihre Mama sich in einer mir nicht unähnlichen Lage befanden – am Rande des Verhungerns. Darum ging Altea auf die Jagd, um das Überleben zu sichern, damit Mama ihren Stolz bewahren konnte.
Die Gräfin kam eben aus dem Haus und winkte Altea mit einer Zeitung, sich zu ihr unter die schattige Laube zu setzen. Ich gab meinem Kleinen den Befehl, zu seinen Geschwistern zurückzukehren, und folgte ihr.
» Liebes, wieder ein herrlicher Artikel von diesem Aloisius Kattenvoet. Den musst du dir anhören!«
» Natürlich, Mama. Aber ich hole uns vorher noch eine Karaffe Limonade. Es ist warm heute.«
» Die Wirtin …«
» Die raffgierige Wirtin bekommt einen Groschen dafür«, knurrte Altea.
Mama sah mich an, als Altea im Haus verschwand, und meinte: » Sie beschützt und verwöhnt mich, wo sie kann, Sina. Aber ich habe Angst. Alles das kostet so viel.«
Viel kosten – das hatte was mit Wert zu tun. Menschen tauschten Dinge, die sie wertschätzten, gegen andere, die sie brauchten. Das hatte ich schon verstanden. Wer nichts von Wert hatte, konnte auch nichts tauschen und musste verhungern. Oder klauen.
Von meinem philosophischen Gedankengang wurde ich abgelenkt, denn Altea kam mit der Wirtin zurück, die ein Tablett mit Karaffe, Gläsern und einer Schüssel Erdbeeren mit Sahne trug. Mürrisch, wie üblich. Doch kaum war sie weg, stippte Altea ihren Finger in die Sahne und reichte ihn mir.
Schlapp!
Und dann las Mama den Artikel vor, der von dem Herrn namens Kattenvoet verfasst worden war. Der Name machte mich geneigt, ihr zuzuhören. Er war auch recht erheiternd, denn er stellte die Kurgäste und ihr Gebaren aus Sicht eines Blumenmädchens dar. Blumenmädchen gab es viele, ich hatte sie schon oft vor den Hotels und Pensionen stehen und ihre Sträußchen anbieten sehen. Männer nahmen sie ihnen ab und schenkten sie den Frauen. Dabei gab es wohl sehr unterschiedliche Antriebe, das zu tun. Kattenvoet schien eine respektlose Beobachtungsgabe zu besitzen. Hier der ältere Geck, der einem kecken Mädchen Veilchen schenkte, um ein ebenso keckes Küsschen zu ergattern, da der schüchterne Jüngling, der von dem Blumenmädchen einen besonders hübschen Strauß erhielt, den er heimlich seiner Angebeteten auf das Fensterbrett legte. Ein Kavalier erstand rote Rosen, um sie jeden Tag einer anderen älteren Dame zu überreichen, ein kleiner Junge kaufte für seine Mama ein Bündchen Vergissmeinnicht von seinem Taschengeld, um sie von einem Lausbubenstreich abzulenken, ein Ehegatte mit sichtlich schlechtem Gewissen wollte mit Blumen sein Weib
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