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Die Sprache des Feuers - Roman

Die Sprache des Feuers - Roman

Titel: Die Sprache des Feuers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Observationsraum Ihre Gefühle kennenlernen.«
    Was ihm wieder zustimmendes Gelächter der Jury einbringt.
    »Hältst du das für möglich?«, flüstert Jack Billy zu, »zwölf Leute, die fünfzig Dollar und ein warme Mahlzeit kriegen, sollen über zig Millionen Dollar entscheiden. Wozu dann die ganze Justiz, die ganze Wissenschaft, die ganzen Ermittlungen?«
    »Ich halte alles für möglich«, sagt Billy.
    »Tut mir leid, dass ich dich da reingezogen habe.«
    »Du hast mich nicht reingezogen«, sagt Billy.
    Casey erhebt sich vom Tisch des Klägers und lässt den Blick ein Weilchen auf den Geschworenen ruhen. »Sie hören jetzt die Geschichte eines gigantischen Versicherungskonzerns, nennen wir ihn Great Western Insurance, der einen Versicherten betrogen hat. Die Geschichte eines Mannes, der seine Frau und sein Haus verloren hat und von der Versicherung belogen, betrogen, bedroht und bedrängt wurde.«
    Jack schaut auf den Monitor.
    Eine Zehn minus.
    »Sie werden hören«, fährt Casey fort, »wie diese Versicherung jahrelang seine Prämien kassierte, ihm versprach, in der Not für ihn da zu sein – und ihn dann, als der Notfall eintrat, als ihn ein schwerer Schicksalsschlag traf, des Betrugs, der Brandstiftung und des Mordes bezichtigte, statt ihm zu helfen und die ihm zustehende Entschädigung auszuzahlen.
    Es ist die Geschichte eines Versicherungskonzerns, der glaubt, über dem Recht zu stehen, denn er wirft dem Versicherten Brandstiftung und Mord vor, obwohl es sich nach den Ermittlungen der Feuerwehr und der Gerichtsmedizin um einen Brandunfall mit Todesfolge handelt, obwohl die Polizei in dieser Sacheweder ermittelt noch Anklage erhoben hat, obwohl mein Mandant weder wegen Brandstiftung noch wegen Mordes verurteilt wurde, obwohl er nicht die Gelegenheit bekam, sich zu diesem ungeheuerlichen Vorwurf zu äußern, geschweige denn in einem öffentlichen Verfahren zu rechtfertigen.«
    Zwölf mal Zehn minus. Der ganze Monitor ist voller Zahlen.
    »Es ist die Geschichte eines Mannes, meines Mandanten, nennen wir ihn Mr. White, der als Immigrant zu uns kam, mit einem alten Koffer und den Kleidern, die er auf dem Leibe trug. Der sich durch Fleiß, Ausdauer und harte Arbeit den Amerikanischen Traum erfüllte und Millionär wurde. Dieser Traum wurde durch einen tragischen Unfall und durch das willkürliche, bösartige und gewissenlose Agieren eines gierigen, mächtigen Konzerns zerstört, der lieber einen ehrlichen Mann zugrunde gehen lässt, als ihm auszuzahlen, was ihm zusteht.
    Sie, liebe Geschworenen, sind die einzige Hoffnung dieses Mannes. Nur Sie können ihm helfen, das zu retten, was ihm noch geblieben ist. Seine Frau hat er verloren, seine Kinder sind mutterlos, sein Haus liegt in Schutt und Asche. Auch Sie können ihm seine Frau nicht zurückgeben, seine Kinder nicht trösten, aber Sie können ihm sein Haus und sein Hab und Gut ersetzen und den heimtückischen Konzern bestrafen, der das Leben meines Mandanten vielleicht noch schlimmer zerstört hat, als es das Feuer tat. Nur Sie können ihm und seinen Kindern eine Heimstatt zurückgeben. Und den Bossen des Versicherungskonzerns eine Botschaft zukommen lassen, die besagt: Wagt es nie wieder, diese abscheulichen Praktiken anzuwenden.
    Mein Mandant legt sein Schicksal in Ihre Hände. Ich bin sicher, dass Sie die Stimme der Wahrheit erkennen und ihr gehorchen werden. Ich danke Ihnen.«
    Überall Neun plus und Zehn plus.
    Die Jury ist »glücklich«, wie Jack registriert.
    »Ein Glück, dass dieser Halunke auf unserer Seite steht«, hört er Herlihy flüstern.
    »Das ist Paul Gordons Standard-Eröffnung«, erklärt ihm Reinhardt. »Reine Routine.«
    »Mist!«
    Emily Peters, eine Kollegin von Casey, übernimmt die Erwiderung.
    »Viel Glück, Emily«, sagt Jack.
    »Es ist nicht leicht, einem solchen Vortrag etwas entgegenzusetzen«, beginnt sie. »Das war eine großartige Rede, ein Appell an Ihre Gefühle, der kein Auge trocken lässt. Aber, liebe Geschworene, ein Prozess sollte nicht nach Gefühl entschieden werden, sondern nach Recht und Gesetz – und aufgrund von Tatsachen. Das Gesetz schreibt auch vor, dass eine Versicherung keine Entschädigung zahlen darf, wenn der Versicherte sein Haus vorsätzlich angezündet hat. Und wenn Sie meine zwei Zeugen gehört haben, liebe Geschworene, werden Sie zu der Einsicht kommen, dass Letzteres leider der Fall ist.«
    Vielleicht, vielleicht nicht, denkt Jack. Die Zahlen auf dem Monitor bewegen sich um die Null, Emily Peters

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