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Die Sprache des Feuers - Roman

Die Sprache des Feuers - Roman

Titel: Die Sprache des Feuers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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zugeben, dass sie gruslig sind. Die Äste des großen Eukalyptusbaums vor dem Fenster schwanken im Wind und werfen gespenstische Schatten an die Wand.
    »Ich hab Angst«, sagt Michael.
    »Wovor denn?«
    »Vor dem Feuer. Das Mama verbrannt hat.«
    »Dieses Haus brennt nicht.«
    »Wieso nicht?«
    Sie weiß es nicht. Sie hat auch Angst.
    Sie hat Alpträume, in denen es überall brennt.
    Mama schläft, und sie wacht nicht auf.
    »Weil ich eine Prinzessin bin. Ich kann verbieten, dass es brennt.«
    »Wer bin ich dann?«
    »Der kleine Bruder der Prinzessin.«
    »Ich will auch was anderes sein!«
    »Dann bist du eben ein Hexer.«
    »Was ist das?«
    »So was wie ein Zauberer, nur besser.«
    »Kann ich dann Sachen wegzaubern?«
    »Klar.«
    »Auch Gespenster?«
    »Klar«, sagt Natalie. »Aber jetzt musst du schlafen.«
    »Lass das Licht an.«
    Sie lässt das Licht an.
    Liegt wach und verfolgt die Schatten an der Wand.

115
    Jack sitzt im Dunklen.
    Fast unsichtbar im Schatten des Felsvorsprungs, und wartet, bis es so hell wird, dass er sehen kann, ohne gesehen zu werden.
    Er sitzt einfach nur da und guckt auf den Ozean.
    Wie er es als Kind gemacht hat.
    Die Wellen bei Vollmond sehen aus wie flüssiges Silber.
    Und rauschen wie seit ewigen Zeiten. Schschschschschsch ...
    Das Wiegenlied des Pazifik.
    Jack wartet auf den Sonnenaufgang.

116
    Letty schreckt aus dem Schlaf hoch.
    Ein Geräusch auf der Terrasse.
    Sie greift mit ihrer gesunden Hand nach der Dienstwaffe auf dem Nachttisch, steht auf und schiebt sich an der Wand entlang zur Terrassentür.
    Schön ruhig bleiben, sagt sie sich, aber ihr Herz rast, ihre Hand zittert.
    Draußen ist nichts zu sehen.
    Sie hebt die Hand in der Armschlinge und entriegelt die Tür. Stößt sie mit dem Fuß auf und macht einen Schritt über die Schwelle, in Schussposition, schwenkt nach rechts – nichts. Schwenkt nach links –
    Ein Waschbär trollt sich davon.
    »Scheiße«, sagt Letty.
    Sie atmet auf, muss über sich selbst lachen und nimmt sich vor, Gummischnüre für die Mülleimer zu besorgen.
    Schließt die Tür und will wieder ins Bett.
    Aber ihr Arm tut weh – sie geht ins Bad, macht Licht und schluckt ein paar Tabletten.
    Knipst das Licht aus und geht zurück ins Bett.
    Lev drückt sich an die Hausecke.
    Er sieht, wie das Licht an- und wieder ausgeht.

117
    Nicky beobachtet Paul Gordon. Gordon kommt aus dem Starbucks, einen Cappuccino in der Hand, blind für alle Gefahren, die auf ihn lauern könnten.
    Nickys Fahrer folgt ihm quer über den fast leeren Parkplatz bis zum Bankgebäude, wo Gordon am Bankautomaten stehenbleibt, den Cappuccino abstellt, seine Karte einschiebt und mit dem Fuß wippt, während der Automat brummend seine Arbeit verrichtet.
    Nicky verfolgt vom Rücksitz, wie Dani die Beifahrerscheibe runterlässt und die Maschinenpistole in Stellung bringt.
    Gordon zieht seine zweihundert Dollar, nimmt den Cappuccino in die andere Hand und dreht sich um – in den Feuerstoß, der ihm die Brust zerfetzt. Der Cappuccino bespritzt sein blutiges Hemd, bevor er lang hinschlägt.
    »Du bist gefeuert«, sagt Nicky.

118
    Teddy Kuhl ist kein Dummer.
    Er rettet seinen Arsch.
    Weil er vor diesem verdammten Exbullen gesungen hat wie ein Vogel, ist es nur eine Frage der Zeit, bis ihn einer von seinen netten Buddys bei den Russen verpfeift.
    Teddy ist eine wandelnde Abschussprämie, und er weiß es.
    Also reißt er sich am Riemen, obwohl ihm jeder Knochen wehtut, packt ein paar Sachen, steigt auf sein Bike und düst los, gen Osten. Warten, bis die Scheiße abkühlt. Arizona, denkt er, ist genau das Richtige.
    Eine clevere Idee.
    Doch dann hat er eine total bescheuerte Idee.
    Er gönnt sich ein Bier.
    Schlimmer noch, er stoppt am Bikertreff Cook’s Corner, oben im Modjeska Canyon, weil er sich sagt, das ist die letzte Chance, ein gutes Bier zu kriegen, denn die Fahrt durch die Berge wird lang, einsam und trocken.
    Das Bier tut ihm so gut, dass er sich gleich ein zweites holt.
    Plaudert mit ein paar Buddys, bis es fünf Biere sind.
    Und merkt nicht, dass einer von ihnen telefonieren geht.
    Beim siebenten Bier denkt er, es ist Zeit, aus Dodge City zu verschwinden, aber vorher muss er pissen. Die Blase drückt wie ein Medizinball.
    Er rutscht vom Hocker, stößt die Blechtür zum Männerklo auf, stellt sich an die Pissrinne aus Edelstahl.
    Ganz allein mit sich ist er dort.
    Aus dem Lautsprecher in der Bar tönt George Thorogood, und Teddy rockt ein bisschen mit, während er den Stall aufmacht

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