Die Sprache des Feuers - Roman
sich Entzündungsringe um die Brandblasen, nicht so bei Toten.
»Sie war tot, bevor sie brannte«, sagt Jack.
Ng steht auf, holt einen Styropor-Becher und gießt Jack Kaffee ein. »Das wusstest du doch vorher. Sonst würdest du mir nicht auf die Eier gehen.«
»Ich geh dir nicht auf die Eier.«
»Doch.« Ng lässt sich auf seinen alten Holzstuhl plumpsen, zieht eine Schublade seines grauen Stahlschreibtischs heraus und schiebt Jack eine Akte hin. »Das hast du nicht gesehen.«
Jack klappt die Akte auf und muss würgen.
Fotos von Pamela Vale.
Zumindest eines Teils von ihr.
Die Beine sind so gut wie verbrannt. Entblößte Schienbeinknochen. Die Unterarme erhoben, mit gekrallten Fingern, wie um sich zu schützen. Ihr Gesicht ist erhalten. Violette Augäpfel starren ihn an.
Jack schluckt hörbar.
»Hey«, sagt Ng. »Du gehst mir auf die Eier, also kriegst du, was du wolltest.«
»Scheiße«, sagt Jack.
»Allerdings. Irgendeine Idee, warum die obere Hälfte noch intakt ist?«
»Die Beinknochen liegen frei«, sagt Jack. Ein durchschnittliches Feuer von 650 Grad benötigt 25 bis 30 Minuten, um sich bis zu den Schienbeinen durchzufressen. Nur dass dieses Feuer nichtso lange brannte. Doch das behält er für sich. »Der Schutzreflex, wahrscheinlich. Hat Körper und Gesicht gegen die Flammen abgeschirmt.«
»Die Glückliche«, sagt Ng.
Jack zwingt sich zu einem weiteren Blick. »Typische Boxerpose.«
Die Boxerpose entsteht, wenn starke Hitze die Arm- und Beinmuskeln kontrahiert – bevor die Totenstarre eintritt.
»Totenstarre?«
»Nein.«
»Kein Rauch in der Lunge, keine Rußspuren um Mund und Nase, geringer CO -Gehalt, Boxerpose«, fasst Jack zusammen.
»Sie starb vor dem Feuer, aber nicht lange davor«, schlussfolgert Ng.
»Bäuchlings oder rücklings?«
»Rücklings.«
Die meisten Menschen, die von einem Feuer überrascht werden, werden mit dem Gesicht nach unten aufgefunden. In einer solchen Situation legt man sich nicht auf den Rücken und wartet ab.
»Und? Ist es ein Unfall?«, fragt Jack.
»Das sagen die Polizisten. Und Polizisten lügen nicht«, befindet Ng.
»Sie hatte Alkohol im Blut.«
»Ja.«
»Viel?«
»Es reichte.«
»Auch zum Wegtreten?«
»Schwer zu sagen«, meint Ng. »Ich habe Barbiturat-Spuren gefunden.«
»So könnte es passiert sein«, sagt Jack. »Sie trinkt, nimmt Tabletten und raucht, sie tritt weg, die Zigarette entzündet den Alkohol ...«
»Wenn sie bewusstlos war«, sagt Ng, »hat sie noch geatmet.Und Rauch eingeatmet. Nein, diese Frau war tot, bevor es brannte.«
»Woran ist sie dann gestorben?«
Sie sitzen stumm da, dann sagt Ng: »Keine Würgemale, kein erkennbares Kehlkopftrauma. Auch keine Kampfspuren. Ich wollte mit dem Ehemann reden, doch sein Anwalt hat geblockt. Die Mordkommission will da nicht ran. Sie sagen, es war ein Unfall. Jetzt weißt du, was ich weiß.«
»Da erfährt einer, dass seine Frau verbrannt ist, und zehn Minuten später hat er schon einen Anwalt. Findest du das nicht seltsam?«
»Ich bin Gerichtsmediziner, kein Verhaltensforscher«, sagt Ng. »Ja, natürlich ist das seltsam.«
Jack fragt: »Hinweise auf Sex?«
»Diese Teile sind verbrannt«, sagt Ng. »Warum?«
»Irgendein Irrer vergewaltigt sie, legt das Feuer.«
Ng zuckt die Schultern. »Ich habe Blut- und Gewebsproben genommen. Wenn Interesse besteht, lasse ich sie auf Erdrosselung analysieren.«
»Darf ich die Leiche sehen?«
»Die ist nicht mehr da.«
»Wieso?«
»Ich hab sie freigegeben«, sagt Ng. Und als er Jacks Blick bemerkt: »Jack, was sollte ich machen? Ich habe einen Ermittlungsbericht, der auf Unfalltod erkennt, Rauchen im Bett. Ich habe Blutproben voller Alkohol und Barbiturate –«
»Sie war schon tot, als es brannte!«
Ng nickt. »Sie lässt die Zigarette fallen, verliert das Bewusstsein, stirbt an einer Überdosis, bevor das Feuer ausbricht. Es passt alles zusammen. Wenn du Gründe suchst, die Zahlung zu verweigern –«
»Fick dich, Winston.«
»Tut mir leid«, sagt Ng. »Ich hatte einen langen Tag. Das war unter Niveau.«
»Ja, was für ein Tag! Also ...«
»Also, ich tippe auf Überdosis.«
Ein Tablettenunfall, gefolgt von einem Brandunfall.
»Danke, Winston. Ich wollte nur eine Erklärung.«
»Keine Ursache.«
»Wie geht’s den Kindern?«
»Gut«, sagt Ng. »Ich glaube, sie sind froh, wenn die Schule wieder losgeht. Nein, ich weiß es.«
»Und Elaine?«
»Hat zu tun«, sagt Ng. »Ich sehe sie kaum. Steckt tief in ihrer Diss.«
»Grüße
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