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Die Sprache des Feuers - Roman

Die Sprache des Feuers - Roman

Titel: Die Sprache des Feuers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Kekssorte, wenn Sie so wollen. Diese Kekssorte hat einen bestimmten Anteil von Zimt und Zucker. Benzin, Petroleum, Napalm und alle anderen Brandbeschleuniger im Test verhalten sich wie der Teig einer solchen Kekssorte: Er setzt sich aus vielen Substanzen zusammen, in unterschiedlichen Mengen.«
    Diese Substanzen in ihren unterschiedlichen Mengen ergeben ein charakteristisches und unverwechselbares Gaschromatogramm, den »Fingerabdruck« der jeweiligen Stoffmischung.
    Dinesh wartet, während die Proben durchlaufen.
    Nach fünf Minuten kommt es zu einem leichten Kräuseln. Nach zehn Minuten kommt es zu einer kleinen Erhebung, dann sinkt sie wieder ab, bis nach zwölf Minuten wieder eine Erhebung kommt, die nach fünfzehn Minuten zu einem Gebirge ansteigt, steil wie eine Rakete, und nach zehn Sekunden wieder abstürzt. In der siebzehnten Minute steigt sie wieder an, mit einer Erhebung in der achtzehnten, dann sinkt sie ab. Nach ein paar kleinen Erhebungen in der zwanzigsten Minute bleibt sie unten.
    Dinesh schaut sich den Ausdruck an, und auf dem Ausdruck steht »Petroleum«.
    Jetzt kommt sein nächster Zaubertrick. Die Proben durchlaufen einen Gaschromatographen, an den ein Massenspektrometer angeschlossen ist. Das ist ein Stahlzylinder von zehn Zentimetern Durchmesser und siebzig Zentimetern Länge. Er hat ein Glasfenster, durch das man das Innere sehen kann – Vakuumtechnik, Stahlteile, Drähte, Keramikröhren und Turbopumpen mit 100 000 Umdrehungen pro Minute.
    In der Mitte dieser Vorrichtung befindet sich ein Glühfaden, der die chemischen Dämpfe mit Elektronen bombardiert und sie in elektrisch geladene, molekulare Trümmer oder Ionen zerlegt. Innerhalb einer Mikrosekunde werden diese Trümmer gewogen, innerhalb einer Nanosekunde werden sie gezählt.
    Aus der Größe und der Zahl der Ionen ergibt sich eine unverwechselbare »Fragmentsignatur«.
    (Den Geschworenen erklärt es Dinesh so: »Wenn ein Blumentopf aus dem Fenster fällt, zerbricht er in lauter Scherben. Diese Scherben sehen bei jedem Blumentopf anders aus. Keine Scherbe gleicht der anderen. Aber ein Molekül ist wie ein Blumentopf mit Sollbruchstellen. Wenn man ein Molekül zertrümmert, zerfällt es jedesmal in die gleichen Fragmente. Und jede Substanz hat ihre charakteristische, unverwechselbare Fragmentsignatur.«)
    Jetzt vergleicht der Computer die gemessenen Fragmentsignaturen automatisch mit dem Stoffkatalog des Nationalen Normeninstituts NIST und wirft ein Ergebnis aus.
    Petroleum.
    Dieses Ergebnis würde auch die strengsten Analytiker befriedigen, doch nicht Dinesh. Nicht bei einem einfachen Gaschromatographen mit einfachem Massenspektrometer. Nicht bei den vielen Weichmachern, die in den Plastikerzeugnissen stecken und die Messungen verfälschen.
    Also nutzt Dinesh die »Komplexe zweidimensionale Gaschromatographie«, die sich » GC  x  GC « nennt, und wenn er sie beschreiben soll, denkt er an ein Hubble-Teleskop, mit dem er chemische Mischungen aus der Nähe betrachtet.
    Der Anfang ist ganz einfach. Er jagt die Proben wieder durch den Gaschromatographen, doch angeschlossen ist anstelle des Massenspektrometers ein weiterer Gaschromatograph, den die Proben anschließend durchlaufen.
    Der Unterschied liegt beim Methylsilikon in der zweiten Trennsäule, denn das ist gewissermaßen gedopt.
    Gedopt mit Chemikalien, die für völlig andere Trennverläufe sorgen.
    (»Es gibt drei verschiedene Trennmechanismen«, würde Dinesh den jetzt schon verzagten Geschworenen erklären, »die Trennung nach Volatilität, nach Polarität und nach Struktur. Die Volatilität bemisst sich danach, wieviel Dampfdruck eine Substanz bei ihrem Siedepunkt erzeugt. Die Polarität berücksichtigt die elektrische Ausrichtung der Moleküle und die Struktur ganz einfach den Bau der Moleküle – ob es sich zum Beispiel um kettenförmige oder ringförmige Gebilde handelt.
    Die erste Trennsäule trennt nur nach Volatilität. Haben zwei Verbindungen dieselbe Volatilität, durchlaufen sie die Trennsäule ungetrennt, auch wenn sie eine andere Polarität oder Struktur besitzen. Aber in der zweiten Trennsäule begegnen sie einem chemischen Mechanismus, der dann doch zur Trennung führt.
    Also: Die Polarität ist eine elektrische Eigenschaft der Moleküle. Minuspole ziehen Pluspole an und umgekehrt. Auf diese Weise schmiegen sich die Moleküle aneinander. In der erstenTrennsäule können sie diese Umarmung vielleicht durchhalten, aber in der zweiten treffen sie auf ein elektrisch

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