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Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)

Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)

Titel: Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heiner Wacker
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der Macht
    Der Rat der Stadt Münster-Zentral tagt alle zwei Monate in den Räumen der Stadtkonzernzentrale am Alten Fischmarkt. Unter der altehrwürdigen Glaskuppel mit wunderbarem Blick auf den Kirchturm von St. Lamberti lenkt die zweiundfünfzigköpfige Truppe die Geschicke von dem, was von Westfalen-Lippe noch übrig geblieben ist. Anlässlich der jüngsten Ereignisse ist eine Sondersitzung einberufen worden, die am nächsten Tag zusammentreten soll. Wie in solchen Fällen üblich, trifft sich die maßgebliche Meinungselite des Münsteraner Geld- und Kulturadels zu einem informellen Vorgespräch im Dreilöwenklub, der seit mehr als zwanzig Jahren die obere Etage der Musikhalle einnimmt und dessen stilvolles Ambiente weit über die Grenzen des Münsterlandes hinaus bekannt ist.
    Gerade als die Sonne im Begriff ist, ihre tägliche feige Flucht in den Westen mit ihrem Untergang zu besiegeln, betritt Freiherr von der Hohen Ward die Raucherlounge des Klubs. Sofort richten sich mehrere Augenpaare auf seine imposante Erscheinung, denn Freiherr von der Hohen Ward ist Sprecher des Stadtrats und das heimliche Zentrum des Geflechts aus Macht, Korruption und Vorteilsnahme, das vor vielen Jahren an die Stelle halbwegs demokratisch legitimierter Entscheidungsprozesse getreten ist.
    Freiherr von der Hohen Ward macht eine kurze Begrüßungsrunde, wie immer ganz die Jovialität in Person. Sein fleischiges Gesicht glänzt in zartem Rosé vor sich hin, die wulstigen Lippen sind zu einem routinierten Dauergrinsen verzogen. Trotz seiner massigen Statur und eines gepflegten Wohlstandsbauches liegt der prozentuale Fettanteil seines Körpers deutlich unter dem der anderen Anwesenden, denn HW achtet auf die Leistungsfähigkeit seines Bodys und ist bereit, einiges dafür zu tun, dass er so bleibt, wie er ist. Er beendet den Rundgang bei seinem Stellvertreter Thomas Theising, ein ebenfalls in vierter oder fünfter Generation reicher und cleverer Stadtoberer.
    «Theising, Mensch, gut dich zu sehen?» Von der Hohen Ward legt seinem Freund und Kollegen seine dicht mit feinen rotblonden Haaren bewachsene Pranke auf die Schulter. Über seinem eher schlichten Ehering steckt ein voluminöser Siegelring und blinkt im Licht der Deckenbeleuchtung leise vor sich hin, der Mittelfinger beherbergt einen weiteren dicken, goldenen Reif, auf dem ein beeindruckender roter Klunker thront.
    «Das hätte für uns alle böse enden können.»
    Theisings kinnloses Gesicht wird im Rückblick auf das, was hätte sein können, noch eine Spur blasser, als es schon ist.
    «Ich mag gar nicht daran denken.» Dann unvermittelt mit gesenkter Stimme: «Ich war letzte Woche drüben, bei Fortune. Es ist alles in Butter. Die schießen noch mal Kohle nach.»
    Freiherr von der Hohen Ward zieht Theising in den Schatten einer Edelpalme. Seine Stimme ist ebenfalls auf Schlafzimmerlautstärke abgesackt.
    «Wahnsinn, Mann. Und in welcher Größenordnung? Haben die schon was gesagt?»
    «Und ob! Das Gleiche noch mal.»
    «Theising, du bist ein Genie. Wie hast du das nur wieder geschafft?»
    Obwohl Theising sichtlich geschmeichelt ist, versucht er cool zu bleiben.
    «Na ja, so wild war es nun auch wieder nicht. Weißt du, wann hat ein internationaler Konzern Gelegenheit ein – sagen wir mal – nicht ganz koscheres Ding in dieser Größenordnung auf die Beine zu stellen? Denk nur mal allein an die ganzen Erdbewegungen. Das hätte in keinem zivilisierten Land dieser Erde so reibungslos geklappt, Investitionen hin oder her. Und wir haben den Fisch an Land gezogen. Das Einzige, was wir dafür tun müssen, ist nichts tun.»
    «Haben die eigentlich mittlerweile von unserem kleinen Privatprojekt Wind bekommen?»
    Theising grinst. Im Schatten der Palme sieht er aus wie eine Muräne, die aus ihrer Höhle linst.
    «Aber nicht doch. Ist im Moment sowieso niemand da. Vor Mitte nächsten Jahres können die die Produktion gar nicht wieder hochfahren. Zu viel schlechte Presse.»
    «Bei uns doch wohl nicht?»
    «Aber nicht doch. Das bisschen Presse, das es noch gibt, gehört uns. – Nein, nein, mach dir keine Sorgen. Hier hat keiner was gemerkt. Und wenn nicht – du weißt schon was – passiert, dann wird auch nie etwas durchsickern.»
    «Das heißt, wir haben noch ein knappes Jahr freie Bahn? Zum Nulltarif?»
    «Zum Nulltarif? Na hör mal, bei den Gehältern, die wir zahlen, kann man wohl kaum von Nulltarif sprechen.»
    «Theising, alte Säule, du bist zwar ein Arschloch, aber ein

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