Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
marschiert durch die Eingangstür und wartet auf die nächste Führung? Das ist eine hochmoderne Forschungsanlage, die natürlich auch entsprechend gesichert ist. Ohne mich kommt ihr nicht mal bis zur Gästetoilette. Nicht hinein und vor allen Dingen auch nicht wieder hinaus. Und genau das macht mir Sorgen. – Also, versteh mich nicht falsch, es ist mir herzlich egal, was mit dir und deiner faltigen Braut passiert, aber ich könnte mir vorstellen, dass du … na ja, wenn die Jungs von Grothues dich so richtig in die Mangel nehmen … also, dass du vielleicht beginnen könntest, äh, Unwahrheiten über ehrbare Bürger zu verbreiten … Ich denke, da wäre es besser, wenn ich dabei bliebe. Euch ein bisschen unterstütze – mit Rat und Tat und so … Du weißt schon … alte Freunde – die wir nun mal sind – sollten zusammenhalten.»
Carsten lacht humorlos.
«Oho! – Na, du bist herzlich eingeladen. Ich könnte jemanden brauchen, der den Rollstuhl schiebt.»
«Der den Rollstuhl schiebt? Das kannst du selbst erledigen. Ich glaube, du hast mich nicht verstanden. Ich sorge dafür, dass ihr nicht schon vom ersten Wachmann erschossen werdet. Glaubt ihr etwa, ihr wärt allein in dem Laden. Da wird rund um die Uhr gearbeitet. So was kennst du gar nicht.»
«Das muss ich mir von dir ja wohl nicht sagen lassen, Herr Dienst-nach-Vorschrift. Die machen da garantiert das Wochenende blau. Das Einzige von dir, was gelegentlich Überstunden macht, sind deine Eier.»
«Werd bloß nicht frech, sonst halte ich an und kippe euch in den Graben.»
«Du hast die Kiste noch nicht wieder in deinem Bullenparkhaus abgestellt, da ist dein kleines Filmchen schon in den Postfächern deiner sauberen katholischen Kollegen, das schwöre ich dir!»
Carsten hat seine Aufmerksamkeit kurzfristig von der Stabilisierung von Mandys Rollstuhl abgezogen, sodass dieser sich aus seinem Griff befreien und gegen den notdürftig verzurrten Stapel diverser schuhkartongroßer, eingeschweißter Pakete knallen konnte. Carsten wackelt nach hinten, aber es ist nichts passiert. Außer, dass Mandy wach zu sein scheint.
«Geht es dir gut, Zuckerschnecke?», fragt er besorgt.
«Könnte gar nicht besser sein», kommt es tonlos zurück, dann – nach einer kleinen Pause: «Hört mal, Jungs, ich habe den letzten Teil eurer kleinen Unterhaltung mitgehört. Ich glaube, ich weiß, wo ihr hinwollt.»
« Du weißt, wo wir hin wollen? Woher denn das?»
«Ach, weißt du, Frauen haben eben auch so ihre kleinen Geheimnisse.» Mandy hustet gequält.
Carsten ist baff und braucht einen Moment, bis er sich wieder gesammelt hat.
«Mandy, hier geht es nicht um ein paar kleine Frauengeheimnisse , sondern um die Wurst. Jeder Fehler kann uns den Kopf kosten. Woher stammen die Informationen?»
Mandy lässt den Kopf wieder auf die Brust sinken. Ihre Stimme verliert an Kraft.
«Ich weiß es nicht mehr. Ich glaube von Horst.»
«Von Horst? Dann wüsste ich es auch!»
«Vielleicht auch von Jochen oder von sonst jemandem, ist doch egal.»
«Dem heilenden Samariter? Von jemandem sonst? Das ist ganz entschieden nicht egal. Mandy – bitte – konzentrier dich .»
Mandys Kopf rollt eine Weile hin und her, als der Wagen ein paar kurze Kurven nimmt. Carsten denkt schon, dass sie wieder ohnmächtig geworden ist, aber dann öffnet sie erneut die Augen.
«Ich glaube, dass Jochen es einmal erwähnt hat. Der Arzt von Life-Aid , der mir helfen wollte, aber nicht konnte. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern.»
«Na gut. Egal. Weißt du denn noch, was genau dieser Jochen dir gesagt hat?»
Der Bulli ist zwischenzeitlich wieder auf eine etwas größere Straße gekommen. In regelmäßigen Abständen fällt das Licht der Straßenlaternen ins Wageninnere und lässt Mandys Gesicht im Dunkeln aufleuchten wie ein Warnsignal. Es hat schon vor einiger Zeit begonnen zu regnen, dicke Tropfen kleben an den seitlichen Scheiben und zaubern ein psychedelisches Muster auf ihre bleiche Haut. Die Augen liegen so tief in den Höhlen, dass kaum zu sehen ist, ob sie offen oder geschlossen sind. Ihre Stimme ist nur noch ein leises Raunen, das von irgendwoher außerhalb ihres Körpers zu kommen scheint.
«Nein. Aber wir müssen in die Eisfabrik.»
lvi Die Sache mit dem lieben Gott
Religion ist Opium für das Volk. Der kesse Spruch von Karl Marx – Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zwar nicht wörtlich, aber zumindest sinngemäß so geäußert – wird oft und gern dem Russen Wladimir Iljitsch Uljanow,
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