Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
herum, ehe er sich wieder zurück in die Behaglichkeit seines Sitzmöbels begibt. Wink des Schicksals. Feuer der Offenbarung. Er genehmigt sich einen weiteren Schluck aus dem Schwenker und lässt noch einmal das Gespräch mit seinem letzten Klienten auf der Bank vor seinem inneren Auge Gestalt annehmen. Jochen Heffter, Doktor Jochen Heffter, soviel Zeit muss sein, der geplaudert hat wie ein Backfisch und jetzt irgendwo im Venner Moor im Torf steckt, zusammengerollt wie ein nasser Sack. Viel hat er nicht gewusst, der Arzt ohne Kohle und jetzt ohne Knochen, aber ein bisschen schon. Zum Beispiel wusste er, wo die Sprengmeister einen Teil ihres Werkzeugs aufbewahren. Jetzt lagert es bei ihm im Keller. Vierundzwanzig kleine blaue Pakete und ein Köfferchen mit elektronischen Zündern. Sogar eine Bedienungsanleitung lag dabei, obwohl die Handhabung kinderleicht zu sein scheint. Quasi jeder könnte aus dem Haufen Knetgummi eine Bombe von der Endgültigkeit des Jüngsten Gerichts basteln. Und dann waren da noch die Pläne von der Kanalisation. Kardinal Schultheiss legt seinen Kopf in eines der ausladenden Ohren seines Sessels und schließt die Augen. Was hat Heffter noch gesagt? Jede Menge, nur das meiste hat er nicht verstanden. Fachchinesisch, irgendwas mit induzierten pluripotenten Stammzellen, Genexpression, Biosynthese und polymodulen Genpärchen, wissenschaftliches Geschwafel, völlig unspirituell und ermüdend. Ein Labor in den Unikliniken. Plötzlich springt der Kardinal auf wie von einer Tarantel gestochen, das Glas, das er locker auf dem Oberschenkel balanciert hatte, fällt zu Boden und zerbricht in winzige Stücke, nur noch verbunden durch den zähen Kleber des alten Brandys. Wie konnte er nur so dämlich sein. Die Karten, der Sprengstoff, dabei muss man nur zwei und zwei zusammenzählen. Das Labor in den Kliniken ist die zentrale, heimliche, illegale Kirche der Hüter des unheiligen Grals und er hat den Schlüssel dazu. Den Schlüssel und die Mittel, ein für alle Mal mit dem gotteslästerlichen Gesindel abzurechnen. Er, Kardinal Rolf Schultheiss, kirchliches Oberhaupt, Großinquisitor von Münster und seit diesem Moment Sonder-Sprengmeister im Auftrag des Herrn.
Er geht zum Fon, um seinen extrem-klerikalen Einsatztrupp zusammen zu trommeln.
lxvii Unterwegs
Jeder Gang macht – angeblich – schlank(er). Wenn dem so wäre, müssten sie aussehen wie eine Bulimie-Selbsthilfegruppe am Wandertag, denn unablässig reiht sich Gang an Vorraum an Halle an Gang. Obwohl die meisten Abteilungen nicht in Betrieb zu sein scheinen, macht alles einen wenn nicht gepflegten, so doch zumindest aufgeräumten Eindruck. Obwohl der Boden durchgängig aus einem glatten Kunststoffmaterial besteht, ist Carsten durch die Rollstuhlschieberei ins Schnaufen gekommen. Altersbedingtes Leistungsdefizit. Erkan Ederim hingegen tollt durch die Gänge wie ein aus der Flasche befreiter Dschinn, nur gelegentlich gestoppt durch eine übermannshohe Hinweistafel des klinikeigenen Leitsystems. Sie folgen einer Farbgruppe, die im weiteren Sinn als Kiwi durchgehen könnte, und die sie angeblich in den Labortrakt der Genforscher führen soll. Erkan Ederim hat nach dem letzten Orientierungshalt wieder Gas gegeben und biegt forsch in einen weiteren Gang mit zahlreichen weiteren geschlossenen Türen ein. Die Schilder, die ausnahmslos neben jedem Eingang an der Wand pappen, sind bis auf eine vierstellige Zahl leer. Er erreicht eine Milchglastür am Ende und stemmt sich beherzt gegen beide Türflügel zugleich. Die Tür schwingt auf und erlaubt den Blick in eine lang gestreckte Halle von mindestens sechs Metern Höhe. Carsten hat Mandy vorsichtig in eine Nische des Ganges geschoben und seine Bundeswehrwumme gezückt. Vorsichtig folgt er Erkan Ederim durch die Tür. Nach der klaustrophoben Enge der bisher durchlaufenen Bereiche ist die Halle eine Wohltat für das Auge. Wozu sie dient oder gedient hat, erschließt sich hingegen nicht. Erkan Ederim scheinen ähnliche Gedanken durch den dicken Schädel zu gehen.
«Krasses Teil. Was soll das sein?»
«Keine Ahnung. Ist aber ziemlich groß.»
«Kuck dir mal den Boden an. Das sind massive Stahlplatten.»
Tatsächlich besteht der Boden aus nahezu nahtlos aneinander gelegten Metallquadraten mit einer Kantenlänge von etwa fünf Metern, die eine unglaubliche Solidität ausstrahlen. Die Oberfläche schimmert matt im Licht einer schummerigen Notstrombeleuchtung und lässt die Halle noch größer erscheinen, als sie
Weitere Kostenlose Bücher