Die Springflut: Roman (German Edition)
den einen Kopf kleineren und breit lächelnden Mann ohne Schultern hinab und trat einen Schritt auf ihn zu.
»Jetzt mal halblang, du kleiner Wicht. Dich würde ich nicht einmal mit der Kneifzange anfassen, selbst dann nicht, wenn man mir eine Pistole an die Schläfe halten würde … du bist nichts als ein lächerlicher kleiner Scheißer, kapiert? Nimm die Bahn.«
Sie setzte sich ins Auto und legte einen Kavalierstart hin.
*
In dem unterirdischen Felsraum in Årsta herrschte fieberhafte Aktivität. Stiltons Auftauchen hatte die Veranstalter in Angst und Schrecken versetzt. Wussten auch noch andere, wo sie waren? Die Zuschauer waren in aller Eile hinausgeschafft worden. Jetzt schleppte man die gesamte Beleuchtung und sonstige Elektronik fort. Die Käfige wurden abmontiert.
Der Ort war verbrannt.
»Wohin bringen wir das ganze Zeug?«
Der Bursche, der die Frage stellte, trug einen schwarzen Kapuzenpullover und hieß Liam. Sein Kumpel Isse, der einen dunkelgrünen Kapuzenpullover anhatte, schleppte gerade eine schwere Metallkiste vorbei. Auf dem Unterarm sah man sein KF -Tattoo.
»Keine Ahnung, das bequatschen sie gerade!«
Isse nickte zurück zu einer Felswand, an der vier junge Männer mit einer großen Karte zwischen sich diskutierten. Liam wandte sich wieder um und zog sein Handy heraus. Er wollte nachsehen, wie viele Leute den neuen Film auf ihrer Seite angeklickt hatten.
Den Film mit dem nackten Penner.
*
Als Olivia die Haustür öffnete, war sie immer noch wütend. »Der Nerz ist gut bestückt!« Mit ihren Gedanken war sie noch im Wald, als sie sich im Treppenhaus nach dem Lichtschalter streckte und ihr jemand eine Ohrfeige gab. Bevor sie schreien konnte, legte sich eine Hand auf ihren Mund und ein Arm um ihre Taille und sie wurde in den Aufzug gezerrt, einen sehr alten Aufzug für zwei Personen, mit einer Falttür aus Eisen. Im Treppenhaus war es stockfinster. Sie sah nichts, spürte aber, dass sich eine weitere Person in den viel zu engen Aufzug presste. Die Hand lag weiter auf ihrem Mund. Die Eisentür wurde zugezerrt, und der Aufzug setzte sich in Bewegung. Olivia hatte panische Angst. Sie begriff nichts. Die Körper, die sich gegen sie pressten, waren so hart, dass es Männer sein mussten. Der Geruch beißenden Schweißes und schlechten Atems stieg ihr in die Nase. Keiner von ihnen konnte sich bewegen. Sie standen in der Dunkelheit wie eine Packung eingeschweißter Fleischstücke.
Plötzlich hielt der Aufzug zwischen zwei Stockwerken.
Stille … Olivias Magen krampfte sich zusammen.
»Ich nehme jetzt die Hand weg. Wenn du schreist, breche ich dir das Genick.«
Die heisere Stimme kam von hinten. Olivia spürte Atemzüge auf ihren Nackenhaaren. Die Hand vor ihrem Mund drehte ihren Kopf zwei Mal hin und her. Dann löste sie sich vom Mund. Olivia schnappte nach Luft.
»Warum interessierst du dich für Jackie Berglund?«
Diesmal kam die Stimme schräg von der Seite. Eine hellere, zehn Zentimeter von ihrer linken Wange entfernte Männerstimme.
Jackie Berglund.
Um sie ging es hier also.
Jetzt bekam sie wirklich Angst.
Sicher, sie hatte Zivilcourage, aber eine Lisbeth Salander war sie nicht. Bei weitem nicht. Was hatten diese Männer vor? Sollte sie schreien und riskieren, dass ihr das Genick gebrochen wurde?
»Jackie mag es nicht, wenn man ihr hinterherschnüffelt«, erklärte die helle Stimme.
»Okay.«
»Du schnüffelst doch sicher nicht mehr herum?«
»Nein.«
»Gut.«
Wieder legte sich eine dicke Hand auf ihren Mund. Die Körper der Männer pressten sich fest gegen sie. Sie kämpfte darum, durch die Nase Luft zu bekommen. Tränen liefen ihre Wangen hinunter. Die Atemzüge der Männer trafen ihr Gesicht. Plötzlich fuhr der Aufzug in der Dunkelheit wieder bis ins Erdgeschoss hinunter. Die Eisentür wurde aufgerissen, und die Männer zwängten sich hinaus. Olivia fiel gegen die hintere Aufzugwand. Sie sah zwei grobschlächtige Gestalten auf die Straße laufen. Die Haustür fiel ins Schloss.
Langsam rutschte sie auf den Boden, ihr drehte sich der Magen um. Ihre Kniescheiben schlugen gegeneinander. Dann schrie sie wie am Spieß, bis das Licht im Treppenhaus anging und ein Hausbewohner aus der ersten Etage heruntergelaufen kam und sie fand.
Der Nachbar half ihr die Treppe hinauf. Olivia erzählte ihm, zwei Männer hätten ihr im Hauseingang Angst eingejagt. Sie nannte ihm nicht den Grund und bedankte sich bei dem Mann, der wieder nach unten ging, während Olivia sich zu ihrer
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