Die Springflut: Roman (German Edition)
mitgefeiert. Vor einem Jahr hatten sie eine Party in einer gigantischen Scheune auf dem Land organisiert, die voller unfassbar teurer Luxuslimousinen, künstlicher Rasenflächen mit Wasserfällen und einer mobilen Bar war, die sich auf Stahlschienen durch die Scheune bewegt hatte. In jedem Wagen hatte eine halbnackte junge Dame auf dem Fahrersitz gesessen, die Jackie Berglund engagiert hatte, damit sie zu Diensten war, wenn die Spielkameraden in die entsprechende Stimmung kamen.
Eine Stimmung, in der Bertil Magnuson momentan so gar nicht war.
Er hatte nicht vor, auf eine Party zu gehen.
Unter gar keinen Umständen.
Nicht in dieser Nacht.
D ie Natur war in diesem Frühjahr und Frühsommer regelrecht explodiert. Es war eine extrem warme und sonnige Zeit gewesen. Hätte man sein Geschäft zwischen der Traubenkirschen- und der Fliederblüte schließen wollen, wäre der Urlaub 2011 sehr kurz ausgefallen.
Sie blühten nämlich gleichzeitig und ungewöhnlich früh.
Ein Vorteil des schönen Wetters war jedoch, dass sich das Wasser des Mälarsees schnell erwärmt hatte und man fast überall schwimmen gehen konnte. Jedenfalls manche Menschen, Lena Holmstad dagegen nicht. Sie fand das Wasser vorerst noch eine Spur zu kalt. Lieber saß sie auf einem sonnenwarmen Felsen und lauschte einem Hörbuch. Neben ihr stand eine Kaffeetasse. Sie trank einen Schluck und war zufrieden mit sich. Sie war eine gute Mutter gewesen, hatte alles für ein Picknick besorgt und war mit ihren beiden Söhnen zu ihrer Lieblingsstelle auf der Mälarinsel Kärsön hinausgeradelt.
Die beiden würden zum ersten Mal in diesem Jahr schwimmen gehen.
Lena Holmstad hatte sogar Zimtschnecken gebacken.
Eigentlich sollte sie ein Foto von ihrem Picknickkorb machen und das Bild auf ihre Facebookseite hochladen. Damit ihre Freunde sahen, was für eine tolle Mutter sie war.
Lena begann, nach ihrem Handy zu tasten, als ihr älterer Sohn Daniel mit blauen Lippen und triefend nass zu ihr hochgelaufen kam. Er wollte seine Taucherbrille mit Schnorchel haben. Lena zog die Kopfhörer heraus, zeigte auf eine Plastiktüte und versuchte, ihren Sohn darauf hinzuweisen, dass er sich vielleicht erst ein wenig aufwärmen sollte, bevor er wieder ins Wasser sprang.
»Mir ist nicht kalt!«
»Aber du klapperst doch mit den Zähnen, Mausebär!«
»Ach was!«
»Wo ist Simon?«
Lena Holmstad schaute aufs Wasser hinaus. Wo war ihr jüngerer Sohn? Ein paar Sekunden zuvor hatte sie ihn doch noch gesehen. Sie geriet in Panik, sah den kleinen Simon nicht. Hastig stand sie auf und kippte dabei ihre Tasse um, deren Inhalt sich über das Handy ergoss.
»Was machst du denn da?«
Daniel zog ihr kaffeegetränktes Handy zu sich.
»Er ist doch dahinten«, sagte er.
Daraufhin sah sie ihn auch. Einen kleinen auf- und abschaukelnden Kopf, der links von ihr, unterhalb der Felsen, in seiner Schwimmweste schwamm. Ein bisschen zu weit weg, wie seine Mutter fand.
»Simon! Komm zurück! Da ist es zu tief für dich.«
»Ist es gar nicht«, rief der Fünfjährige. »Guck! Ich kann hier stehen!«
Simon stellte sich vorsichtig auf, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Das Wasser reichte ihm bis zum Bauch. Daniel trat neben Lena.
»Da kann er stehen? Komisch.«
Das stimmte. Lena wusste, dass das Wasser an der Stelle eigentlich ziemlich tief war. Manchmal sprangen die Leute von den Felsen darüber hinein. Das wusste Daniel auch.
»Ich schwimme zu ihm! Bleib stehen, Simon! Ich komme!«
Daniel warf sich mit Taucherbrille und Schnorchel in der Hand ins Wasser und schwamm zu seinem kleinen Bruder. Lena beobachtete ihre Söhne und spürte, dass sich ihr Puls allmählich wieder beruhigte. Was glaubte sie eigentlich? Er trug doch eine Schwimmweste, und es waren ja nur ein paar Sekunden vergangen. Dass man mit den Jahren so schreckhaft wurde. Sobald man sein erstes Kind zur Welt gebracht hatte, ergriff es Besitz von einem.
Das Katastrophendenken.
Daniel hatte seinen kleinen Bruder fast erreicht. Simon fror ein wenig und versuchte, sich warm zu halten, indem er die Arme um seine Brust schlang.
»Simon! Worauf stehst du da?«, rief Daniel.
»Auf einem Stein, glaube ich. Er ist ein bisschen rutschig, aber groß. Ist Mama böse?«
»Nein.«
Daniel war jetzt bei seinem Bruder.
»Sie hat sich nur ein bisschen Sorgen gemacht«, sagte er. »Ich guck mir das mal an, und dann schwimmen wir zurück.«
Daniel senkte seinen Kopf mit der Taucherbrille und begann, durch den Schnorchel zu atmen. Er
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