Die Spucke des Teufels
Einwand scheint nicht zu fruchten. Der Major verschränkt
die Arme auf dem Rücken und stiefelt mit hochrotem Kopf seine Runden um von
Wolzogens Krankenlager, malt sich lauthals allerlei Schikanen aus, mit denen er
die Weseler strafen könnte.
Von Wolzogen hört nicht hin, denkt über die Missachtung
der Stadträte, den Hass der Steinewerfer nach. Ob man ihnen in Kleve
freundlicher begegnen wird? Das ist wenig wahrscheinlich. Und wie mag man in
Geldern oder Moers zu den Preußen stehen, wo erst vor einigen Dezennien die
Bastion am Rhein ausgebaut, die Stadtmauern geschleift, viele Einwohner verjagt
oder gar getötet worden sind. Die Entsendung Se. Majestät wird in keinem dieser
Nester wirklich willkommen sein. Anders wäre es vielleicht, wenn der König
selbst und in höchsteigener Person den Niederrhein besuchen würde. Eine solche
Zuwendung müsste Verbundenheit ausdrücken – mehr als ein pompöses Stadttor es
vermag. Nur ein sich gnädig herabneigender König nimmt für Menschen einfachen
Standes eine liebenswerte Gestalt an, vermag Hoffnungen und Sehnsüchte auf sich
zu lenken. Von Wolzogen nimmt sich vor, Sr. Majestät diesen Vorschlag zu
unterbreiten. Gleich nach der Heimkehr.
Sein verletztes Bein beginnt, vor Anspannung zu zittern,
der Leib hängt in der maroden Pritsche wie ein Mehlsack. Von Wolzogen seufzt
stumm in sich hinein. – Nein, dieser Vorschlag wird nicht fruchten, wird an dem
eigenbrötlerischen König abprallen wie Regentropfen an einem blank gewichsten
Stiefel. Jeder in des Königs Umgebung weiß, wie ungern dieser seine Kutschfahrten
durch das jubelnde Berlin unternimmt, obwohl die Stadt seine angestammte Heimat
ist. Andernorts? Reist er fast nur inkognito. Auch weiß ein jeder, dass des
Königs Kinderseele noch immer den Niederrhein degoutiert, wo man ihn und seinen
Freund Katte vor Jahrzehnten an den kaltherzigen Vater ausgeliefert hat. Der
heidnische Niederrhein, wo nichts heilig ist außer vielleicht Odin und
Yggdrasil – wozu selbst hinfahren? Nein, Se. Majestät wird von Wolzogen ob
solchem Vorschlag aus seinen faltigen Glupschaugen ansehen, wird sein
allerspöttischtes Lächeln aufsetzen und wie so oft sagen: »Das seyndt Narrenpossen.«
Ächzen und Stöhnen dringt aus einem Nebenraum, leise
Schmerzensschreie. Von Wolzogen schließt die Augen. Er ist nicht der einzige
Patient in diesem Spital, doch – dafür sei dem Major ausnahmsweise Dank – ist er
einigermaßen abgeschirmt von den Nöten und Qualen anderer. Und kann nachdenken.
Denn im Nebel der zur Schmerzlinderung verwendeten alkoholischen Dämpfe reift
in ihm allmählich eine vortreffliche Überlegung: Muss denn Se. Majestät tatsächlich
anreisen? Genügt es nicht, die bloße Absicht anzudeuten? Was wäre, wenn man in
den Städten und Dörfern verkündete, dass Friedrich II., der neue gütige
Preußenkönig, in wenigen Wochen die Provinzen zu bereisen beabsichtige, da es
Ihm von höchster Priorité sei zu wissen, wie es seinen geschätzten Untertanen
am Rhein ergehe. Was würde damit nicht alles in Gang gesetzt! Dieser König
würde von allen, die ihn heute noch ignorieren wie einen fernen Stern, welcher
glitzern mag, aber doch nichtig ist, da er die Nacht nicht erhellt, mit einem
Mal geliebt werden wie die Sonne, angebetet wie ein Heiliger, herbeigesehnt wie
ein Erlöser, der all die Mühseligen und Beladenen von der Willkür einheimischer
Administration befreit, vor der Tyrannei der Fürstenhöfe und Bischöfe schützt,
der sie sogar vor den Übergriffen nichtswürdiger Vertreter des Preußenkönigs
selbst bewahren kann! – Beispielsweise vor diesem Major Kreutzer, der just aus
lauter Langeweile Ärzte und Schwestern des Spitals umeinanderscheucht, ihnen
mit dem Schafott droht, falls auch nur einer seiner tapferen Soldaten sein
Leben verlieren sollte.
Ha! Noch weit mehr würde durch solche List erreicht! Denn
wie einerseits das einfache Volk von einer Welle der Begeisterung ergriffen
würde, so würde andererseits in so mancher Amtsstube Furcht und Schrecken
einkehren. Einem aus offener Kutsche huldvoll winkenden König fliegen nicht nur
die Herzen zu, auf den regnen auch die Petitionen nur so herab. Allerlei
Schlendrian und Schlamperei, Vorteilsnahme, Ungerechtigkeit, Amtsmissbrauch,
wie es sie gewiss auch am Niederrhein gibt, würden ans Licht kommen. Die Stadt-
und Kreisbediensteten, besonders aber die Abgesandten aus Brandenburg müssten
sich sputen, alle prekären Angelegenheiten noch vor Eintreffen Sr.
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