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Die Spucke des Teufels

Die Spucke des Teufels

Titel: Die Spucke des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Theiss
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Weißschopf, der seinerseits mit einer ungeschickten
Handbewegung dazwischengeht, gerempelt. Ein Versehen. Das weiß von Wolzogen in
dem Moment, als seine Kinnlade wie Feuer zu brennen beginnt. Doch dieser Hieb
ist es, der das Geprügel weiter anheizt, und ehe von Wolzogen sich versieht,
stürzt er an die Basis eines Körperknäuels. Geistesgegenwärtig streckt er sein
verletztes Bein außerhalb des Gefechtsfelds, rollt sich schließlich unter den
Vorsprung des Tresens und wartet ab. Er pfeift auf die Ehre des Muts, denn
diesen Grobknochen von Kreutzer als Freund, solche harmlosen Bauern als Feinde
hat er sich nicht ausgesucht. Er vertritt Preußen, mehr nicht. Die verletzte
Eitelkeit von irgendwem geht ihn einen Dreck an. Jawoll, einen Dreck!

    Der Rest der Kartenspieler scheint ähnlich zu denken. Sie
lassen ihr Bier stehen, greifen ihre Mützen, raffen ihre Mäntel und schleichen
einer nach dem anderen durch die Tür.

    Da kreischt das Kind wieder auf. Noch ärger und schriller
als zuvor. Der Schrei zerreißt die stumpfe Melodie der Hiebe und Faustschläge,
des Keuchens und des Wutgebrülls, lässt die Fensterscheiben klirren, die Kerzenlichter
erzittern, lässt Schmerz, Angst und Wut zerschmelzen wie Eis unter einer
Feuersbrust. Und als es endlich ganz still geworden ist in der Gaststube, als
alles gekuscht hat vor diesem einen Schrei, da verflüchtigt sich die Stimme,
die ihn geschickt hat, binnen Augenblicken zu einem feinen Kieksen. Und sagt
etwas, nennt voll Freude und Sorge zugleich einen seltenen Vornamen: »Vin-cent!«

    Von Wolzogen sieht sich um. Die Wirtshaustür klappt zu,
der runde Tisch ist verwaist, nur Becher und Karten sind geblieben. Das schöne
Weib auf dem Ölbildnis starrt ihn an, starrt ihm direkt ins Gesicht und lächelt.

    Er traut seinen schwachen Augen nicht, blickt sich weiter
um. Der rechte Teil der Gaststube ist verwüstet. Wie verrenkt liegen dort die
Leiber des Majors, des Weißschopfs, des Langhaarigen. Aufrecht stehen Lisbeth,
das Kind und das Riesenross, dem etwas Blut aus der Nase tropft. Das irre
Mädchen hält Lisbeth umschlungen, starrt zu seinem Bruder hinauf, als habe er
den Sieg errungen. Und kiekst noch einmal: »Vincent.«
    Alle rappeln sich auf, ordnen ihre Kleidung, reiben ihre
malträtierten Körperteile.

    »Komm, lieber von Wolzogen, wir gehen«, brüllt der Major,
zieht seinen Gürtel gerade, hebt seine Perücke auf und stopft sie unters
Revers. »Das hat ein Nachspiel, nicht wahr, mein lieber Neffe!«
    Ohne von Wolzogens Antwort abzuwarten, dreht er sich zur
Tür und stolziert hinaus.

22     Jost

     
    Aus dem Tagebuch eines Unbekannten, undatiert, gefunden
im Nachlass des Küchenmeisters Franz Vincent Müller, 1822 in Hamburg.

    Dreh disch net um, dein Buggel is krumm, dreh
disch net um, dein Buggel is krumm – so singen sie alleweil daheim, singen
es hinter jemand her, den sie schmähen wollen, daheim in Worms, wo ich herkomm,
was ich aber hier lieber niemand sag, weil, wie es heißt, die Wormser vor mehr
als tausend Jahren ihren Siegfried erschlagen haben, ihren heidnischen Helden,
der alles bezwingen konnt, die Lindwürmer wie die Sachsen, aber sterben musst,
weil er der Falschheit erlegen war. Ausgerechnet der Falschheit der Wormser.

    Dreh disch net um, dein Buggel is krumm, haben sie
früher in Worms hinter mir hergerufen, als ich noch ein Bub war, und mit Lehm
haben sie mich beschmissen, nicht weil mein Buckel krumm gewesen wär, sondern
weil meine Mutter eine Hur war und meinen genauen Vater nicht nennen konnt,
sodass ich bald bei einem Pastor als Pflegling aufgenommen wurd, was aber so viel
hieß, wie ein Knecht sein und nur Wasser, Brot und Holzäppel essen alle Tage,
dafür Bildung im Lesen, Schreiben und Rechnen, vor allem Bildung im Lügen und
Rosstäuschen, was mir schon als Kind viel geholfen hat, weil ich so auch mal
eine Scheib von der Wurst abbekam und ein Streicheln über den Schopf.

    Ja, ich bin ein Wormser, aber ich bin doch net falsch!
Was ist das: falsch? Wenn einer wie ich unwahre Sachen erzählt, aber die Leut
froh macht dabei und neugierig, sodass sie lachen und mehr hören wollen und mir
ihr Geld geben, selbst wenn sie mir nicht alles glauben. Ist das Falschheit?
Oder ist es nicht vielmehr Falschheit, wenn einer lügt, um andere in Bedrängnis
zu bringen vor der Obrigkeit, sie an den Pranger zu stellen, damit Schindluder
mit ihnen getrieben wird? Das ist es, was ich wirkliche Falschheit nenn, und
solchermaßen falsch ist der Major,

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