Die Spur der Füchse
Reifen.
»Wo wills’n hin?« fragte Evan.
»Nicht ich. Du.« Arny öffnete die Tür und sagte zum Fahrer: »Waterloo Station.«
Evan stieg schwankend ein, ließ sich in den Sitz fallen.
»Sieh zu, daß du nach Hause kommst«, sagte Arny, »bevor du so einen in der Krone hast, daß du nicht mehr laufen kannst.« Dann schlug er die Tür zu.
Evan kurbelte das Fenster herunter. »Danke«, sagte er.
»Zu Hause ist es am schönsten.«
Evan nickte. »Ich möchte nur wissen, was ich meiner lieben Gattin sagen soll.«
Arny beobachtete, wie das Taxi davonfuhr; dann machte er sich auf den Rückweg zu seinem Büro und dachte dabei über seinen Freund nach. Im Banken-und Börsenviertel erwarb man sich den Ruf der Ehrlichkeit nur langsam und mühselig, aber verlieren konnte man ihn sehr schnell. Und Evan würde seinen guten Ruf verlieren. Das war so sicher, als hätte er versucht, dem Finanzminister die Brieftasche zu stehlen. Einen neuen Job in seiner Branche würde Evan nicht mehr bekommen – vermutlich aber eine dicke Abfindung und ein ordentliches Ruhestandsgeld.
Im Unterschied zu Evan war Arny finanziell nicht abgesichert, sollte es mal hart auf hart kommen. Er bekam zwar ein ansehnliches Gehalt, hatte aber für die Erweiterung seines Hauses einen so hohen Kredit aufgenommen, daß er nur mit Mühe und Not die Raten zahlen konnte. Jetzt aber sah Arny die Möglichkeit, aus Evans Unglück Kapital zu schlagen. Bei diesem Gedanken kam er sich zwar schäbig und gemein vor, aber Evan ist beruflich ja so oder so am Ende, sagte er sich.
Arny betrat eine Telefonzelle, nahm den Hörer von der Gabel und wählte eine Nummer.
Als das Piepzeichen ertönte, schob er eine Münze in den Schlitz.
»Evening Post«, me ldete sich eine Stimme.
»Ich möchte gern den Chef der Lokalredaktion sprechen«, sagte Arny.
»Kleinen Moment, Sir.«
Nach einer Pause sagte eine andere Stimme: »Lokalredaktion.«
»Mervyn?«
»Am Apparat.«
»Hier Arnold Matthews.«
»Hallo, Arny. Was liegt an?«
Arny holte tief Luft. »Die Jamaica Cotton Bank ist in Schwierigkeiten.«
22
Doreen, Einohr-Willies Ehefrau, saß steif und kerzengerade auf dem Beifahrersitz in Jackos Wagen, die Handtasche fest umklammert und in den Schoß gepreßt. Ihr Gesicht war blaß, die Lippen waren zu einem seltsamen Ausdruck verzogen: einer Mischung aus wilder Wut und schrecklicher Angst. Doreen war eine starkknochige Frau, sehr groß, mit breiten Hüften. Wegen Willies Vorliebe für Chips neigte sie zur Fettleibigkeit, und wegen Willies Vorliebe für Bier war sie ärmlich gekleidet. Sie starrte stur geradeaus und redete nur aus dem Mundwinkel zu Jacko.
»Wer hat Willie ins Krankenhaus gebracht?«
»Das weiß ich nicht, Doreen«, log Jacko. »Vielleicht hatte Willie zusammen mit ein paar Jungs ein Ding gedreht, und die anderen wollten unerkannt bleiben. Ich hab’ nur einen ganz kurzen Anruf bekommen: ›Einohr-Willie liegt im Krankenhaus. Sag seiner Frau Bescheid. Peng.‹« Das letzte Wort untermalte er mit einer Handbewegung, die verdeutlichen sollte, wie jemand den Hörer auf die Gabel knallt. »Und dann …«
»Lügner«, sagte Doreen.
Jacko hüllte sich in Schweigen.
Auf der Rückbank des Wagens saß Billy, Einohr-Willies Sohn, und starrte mit stumpfem Blick aus dem Fenster. Seines langen, schlaksigen Körpers wegen waren Kopf-und Knieraum viel zu klein für Billy, deshalb hockte er arg verkrümmt auf dem Sitz – was ihm normalerweise nichts ausgemacht hätte, denn Billy fuhr für sein Leben gern Auto. Heute aber war seine Mom nervös, und Billy wußte, daß irgend etwas Schlimmes passiert war. Er war sich nicht sicher, was genau, dafür war alles viel zu verwirrend. Er hätte Daddy gern gefragt, doch Daddy war nicht da. Und Mom schien böse auf Jacko zu sein, aber das machte nichts, denn Jacko war ja ein Freund. Jacko hatte gesagt, daß Daddy im Krankenhaus liegt, aber daß er nicht krank sei. Aber wenn Daddy nicht krank ist, warum ist der dann im Krankenhaus?, fragte Billy sich einmal mehr. Denn als Daddy heute morgen von zu Hause wegging, war er noch ganz gesund.
Das Krankenhaus erwies sich als ein riesiges Ziegelsteingebäude mit leicht gotischem Einschlag, denn es war einst die Residenz des Grafen von Southwark gewesen. In neuerer Zeit waren mehrere Anbauten mit Flachdächern auf dem Gelände errichtet worden, und asphaltierte Parkplätze hatten die letzten Reste der Rasenflächen überdeckt.
Jacko hielt in der Nähe des Eingangs zur Notaufnahme.
Weitere Kostenlose Bücher