Die Spur der Hebamme
Ihr wüsstet, wem ich gerade zugesprochen wurde, dann würdet Ihr anders reden, dachte Marthe bitter. Je näher die Brautnacht rückte, umso mehr verdrängten die Gewalttaten in ihrer Erinnerung das Wissen, dass sie Ekkehart die Rettung vor dem Tod bei der Wasserprobe und aus dem Kerker verdankte. Alles in ihr verkrampfte sich bei der Vorstellung, sich ihm hingeben zu müssen.
Um es noch schlimmer zu machen, saß Randolf als bester Freund des Bräutigams direkt neben ihr und bleckte hohngrinsend die Zähne. »Was für ein Glück für dich, meine Liebe! Endlich kriegst du einen richtigen Mann zwischen die Schenkel«, raunte er ihr zu, als Ekkehart abgelenkt war durch einen Pagen, der ihm eine Schüssel mit Rosenwasser zum Händewaschen hinhielt.
»Weißt du noch …?« Unmissverständlich legte er seine Pranke auf ihr Knie und ließ sie aufwärtsgleiten. Das löste sie aus ihrer Erstarrung. Blitzschnell ließ sie ihr Essmesser unter dem Tisch verschwinden und drückte die Spitze auf Randolfs Handrücken.
»Nehmt sofort Eure Finger von mir, oder ich ramme Euch mein Messer hinein«, fauchte sie.
Mit seiner Linken packte der Hüne ihr Handgelenk so heftig,dass sie nur mit Mühe einen Schmerzensschrei unterdrückte und das Messer fallen ließ.
»Das wirst du noch heute Nacht bereuen«, zischte er ihr mit hasserfülltem Blick zu. »Dann wirst du sehen, was ich in dich ramme!«
Um nicht den geringsten Zweifel an seinen Absichten zu lassen, zog er ihre Hand zu sich herüber und legte sie auf seinen Schritt. Dann erst stieß er sie weg und brach in Gelächter aus.
Marthe blickte starr geradeaus, rieb sich verstohlen das schmerzende Handgelenk, das bereits rot anlief, und versuchte, sich über Randolfs Drohung klarzuwerden.
Hatte Ekkehart sie getäuscht, bis sie glaubte, dass seine Liebesbezeugungen ehrlich gemeint waren? Wusste er von Randolfs Plänen?
Sie würde sich nicht einmal dagegen wehren können. Sie war nun Ekkeharts Frau, seinem Willen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
»Du siehst bleich aus«, meinte ihr Bräutigam, als er sich ihr wieder zuwandte. »Trink. Der Wein wird dir guttun.«
Er reichte ihr den Becher, den sie sich während des Festmahles teilten.
Marthe schüttelte stumm den Kopf.
Ekkehart beharrte darauf, dass sie trank. »Das mildert die Aufregung. Du musst keine Angst haben.«
Doch der misstrauische Blick, den er einen winzigen Moment lang Randolf und Richenza zuwarf, besagte etwas anderes. Wegen der bevorstehenden Schwertleite und des Turniers hatten sich Gaukler und Spielleute auf der Burg eingefunden, die nun die Hochzeitsgäste unterhielten. Die meiste Aufmerksamkeit zog dabei ein Mann auf sich, der einen Tanzbären mit sich führte. Dem massigen Tier mit glanzlosem, räudigen Fell hatte er einen Ring durch die Nase gezogen und zwang es durchruckartige Bewegungen der Kette, sich aufzurichten und zu drehen.
Geht es uns Frauen nicht wie dieser geschundenen Kreatur?, dachte Marthe bitter, während sie auf die kleinen, böse funkelnden Augen des Bären starrte. Man zieht uns zwar keinen Ring durch die Nase, aber auch wir müssen uns wie Gefangene dorthin führen lassen, wo die Männer uns haben wollen.
Die Gäste an der Hochzeitstafel schlemmten und machten anzügliche Scherze über die Jungvermählten.
Marthe hingegen bekam keinen Bissen hinunter bei der Vorstellung, dass sich alle bald erheben würden, um die Frischvermählten zum Brautbett zu begleiten. Sie blickte immer wieder auf den Eingang des Saales, in der Hoffnung, Lukas und Christian würden dort erscheinen. Aber es waren nur Mägde mit neuen Speisen und Krügen, die die Halle betraten.
Ekkehart, unverkennbar stolz, konnte sich indessen kaum noch zügeln vor Ungeduld. Er presste seinen Schenkel an ihren und starrte immer öfter auf den Ansatz ihrer Brüste im Ausschnitt des prachtvollen Kleides, das er ihr geschickt hatte.
Schließlich wechselte er einen einvernehmlichen Blick mit dem Priester, stand auf und legte seinen Arm um Marthe.
»Pater, wollt Ihr die Güte haben, unser Brautlager zu segnen?« Die Hochzeitsgesellschaft johlte. Eilig erhoben sich die Gäste und folgten ihnen in dichtem Gedränge zu der Kammer, die der Haushofmeister dem Brautpaar zugewiesen hatte.
Was habe ich nur getan?, dachte Marthe entsetzt, während sie mühsam einen Fuß vor den anderen setzte.
Christian, vergib mir!
Der Priester sprach einen Segen und sprenkelte Weihwasser auf das Laken. Danach wurden alle Gäste bis auf eine
Weitere Kostenlose Bücher