Die Spur der Hebamme
dem danach angesetzten Turnier angereist waren. Selbst in der Halle schliefen Gäste, wo immer auf dem Burghof sich noch Platz fand, standen Zelte, und in der Stadt war kein freies Quartier mehr zu bekommen.
Doch an diesem Morgen drehten sich die meisten Gespräche auf dem Burgberg nicht wie zu erwarten um die feierliche Aufnahme des jungen Konrad in den Ritterstand und um den anschließenden Wettkampf, sondern um die unerhörten Geschehnissedes Vortages: Eine Hochzeit, die unterbrochen werden musste, weil der erste Mann der vermeintlichen Witwe sehr lebendig mitten ins Brautgemach platzte, und der plötzliche Tod der Frau eines angesehenen Ritters. Widersprüchliche Gerüchte gingen um: Hatte er seine schöne Frau aus Eifersucht erschlagen? Oder war sie unglücklich gestürzt? Von der finsteren Miene des jäh Verwitweten ließ sich leider keine Antwort ablesen.
Viel mehr aber beschäftigte die Menschen die Geschichte von Marthe und Christian. Klang das nicht wie aus einem dieser Ritterromane, die neuerdings in Mode gekommen waren? Eine Frau in Bedrängnis, ein verlorengeglaubter Held, der von seinem Freund aus dem Kerker befreit wird, und eine Rettung im letzten Augenblick?
Marthe, Christian und Lukas, aber auch Ekkehart und Randolf konnten keinen Schritt mehr auf dem Burgberg gehen, ohne dass sich Dutzende Augenpaare auf sie richteten und die Menschen anfingen, zu wispern und zu tuscheln.
Ekkehart, der seit Wochen an nichts anderes hatte denken können als an die sehnlichst erwartete Hochzeitsnacht mit Marthe, verkraftete den unerwarteten Ausgang des Tages und die noch weniger erwartete Rückkehr seines Rivalen nicht. In maßlosem Zorn war er am späten Abend in das Hurenhaus gegangen, zu dessen Stammgästen er schon seit Monaten zählte. Dort griff er nach der erstbesten Frau, die ihm über den Weg lief, und nahm sie mit solcher Härte, dass sie bald vor Schmerz wimmerte, obwohl sie von ihren Kunden einiges gewohnt war. Als er sich endlich abreagiert hatte, warf er sie aus dem Bett, brüllte nach Wein und betrank sich bis zur Besinnungslosigkeit.
Am Morgen wachte er mit hämmerndem Kopf inmitten zertrümmerter Gegenstände auf. Wortlos drückte er dem Hurenwirtden doppelten Preis in die Hand und ritt zurück auf den Burgberg, bereit, den Erstbesten zu Boden zu schlagen, der ihn hinter seinem Rücken auslachen oder bemitleiden sollte.
Elmar und Giselbert hatten die Nacht damit verbracht, Randolf mit viel Wein über den Verlust seiner Frau hinwegzutrösten. Der war sich über seine Gefühle selbst noch nicht klar. Er hatte Richenza nicht töten wollen, schließlich war sie die Mutter seines Sohnes. Doch je länger er darüber nachdachte und je mehr er trank, umso größer wurde sein Zorn auf die Tote.
Ja, sie war unweigerlich eine Hure, lästig und dreist. Er wusste nicht mit Sicherheit, ob sie ihm Hörner aufgesetzt hatte – den Tag, an dem er das erfuhr, hätte sie nicht überlebt. Aber je mehr sie sich in seine Angelegenheiten einmischte, umso mehr war er ihrer überdrüssig geworden. Was sie im Bett zu bieten hatte, das konnte er in jedem Hurenhaus haben. Zur Hölle mit ihrer schwarzen Seele!
Niemand würde ihn dafür zur Rechenschaft ziehen, dass er seine Frau verprügelt hatte. Das war sein gutes Recht, und sie hatte es längst verdient.
Um seinen Sohn kümmerte sich ohnehin die Kinderfrau, bis er alt genug war, das Reiten und den Schwertkampf zu üben. Jetzt war er frei, frei von Richenzas lästigen Einmischungen und ihren kontrollierenden Blicken, mit denen sie ihm nur Zügel anlegen wollte. Aber er, Randolf, ein Kerl wie ein Baum, ließ sich nicht zügeln! Von niemandem!
Mit seinen Freunden trank er die halbe Nacht hindurch, und je mehr er trank, desto lebhafter malte er sich aus, wie er nun ungehemmt in seinem Silberdorf wüten würde.
Erst als er am Morgen mit dröhnendem Kopfschmerz ins dämmernde Tageslicht blinzelte, drang die Erkenntnis allmählichzu ihm durch, dass Christian lebend zurückgekehrt war. Schlagartig wurde er wach. Er tauchte den Kopf in einen Bottich mit kaltem Wasser und strich sich die klatschnassen Haare aus dem Gesicht. Jetzt brauchte er einen klaren Kopf, um sich gegen alle Verdächtigungen zu behaupten und dann endgültig ein paar Leute zu beseitigen, die ihm seit langem schon im Weg waren.
Christian und Lukas hatten sich nach dem Rauswurf durch Otto in ihr Quartier zurückgezogen. Sie waren erschöpft vom langen, harten Ritt, aber an Schlaf war für sie
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