Die Spur der Hyäne: Thriller (German Edition)
zuckte mit den Schultern, als wollte er sagen: Was haben Sie denn erwartet?
Schließlich erreichten sie Abdelbassir Hossains Zelle. Eine große, dunkle Blutpfütze war schon halb im schmutzigen Boden zwischen den Gittern und auf dem Korridor versickert. Die Stiefel panischer Wachmänner hatten das Blut fast bis zur stählernen Sicherheitstür am Ende des Korridors verteilt.
Der Hafenarbeiter lag auf dem Rücken. Sein Gesicht war mit frischem Blut verschmiert, ebenso seine schmutzige Gefängniskleidung. Der Arzt, ein versoffener Knochensäger aus einer städtischen Praxis, kniete über der Leiche und blickte auf, als Jouma in die Zelle trat.
»Was ist passiert?«
»Sie würden’s mir nicht glauben, wenn ich Ihnen das erzähle, Inspector.«
»Probieren Sie’s.«
Mit einem grunzenden Laut und vernehmlichem Knacken seiner arthritischen Knie stand der Arzt auf. Jetzt konnte Jouma auch erkennen, dass eines von Hossains erloschenen Augen offen und zur Decke gerichtet war, während das andere wie ein blutiges Säckchen mit auslaufender Flüssigkeit gerade noch in seiner Höhle hing.
»Ich muss zugeben, ich hab einen Moment gebraucht, bis ich kapiert habe, was hier passiert ist.«
Der Arzt ging zur Rückwand der Zelle. Dort stand Hossains Schlafpritsche, und darüber befand sich ein Fenster aus dicken, mosaikartigen Glasvierecken, das ein wässriges Licht in die Zelle fallen ließ. Der Arzt zeigte auf das Fenster, und bei genauerem Hinsehen bemerkte Jouma, dass einer der Glaswürfel mit Blut befleckt war.
»Der arme Kerl verdient zumindest Topnoten für seinen Erfindungsgeist.«
Jouma stieg auf die Pritsche, um das Fenster aus nächster Nähe in Augenschein zu nehmen. Jetzt sah er es auch: Eine fünfzehn Zentimeter lange, rostige Metallnadel war aus dem Fensterrahmen herausgebogen worden.
»Sie hat ihm das linke Auge durchbohrt und ist direkt ins Gehirn gedrungen«, erklärte der Arzt. »Normalerweise würde das ausreichen, einen Menschen zu töten – aber nach den Verletzungen des Augapfels zu urteilen, hat es wohl nicht gleich beim ersten Mal funktioniert. Ich würde sagen, er hat zwei, vielleicht sogar drei Anläufe genommen, bis er Glück hatte.«
Dem Inspector wurde schlecht. Bis er Glück hatte? Er blickte auf Abdelbassir Hossains Leiche und überlegte, wie viel Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit es wohl brauchte, bis ein Mann beschloss, seinem Leben auf solche Art ein Ende zu setzen. Doch dann stieg erneut die Wut in ihm auf, und er sah nicht mehr das Gesicht des marokkanischen Hafenarbeiters, sondern die grinsende Visage von Oliver Mugo, wie er seinen Triumph live im Fernsehen verkündete – und damit einen unschuldigen Mann zum Tode verurteilte.
Siebter Tag
63
W illiam Fearon, der bis vor kurzem noch Geschäftsführer bei Spurling Developments gewesen war, wurde von der Meeresbrise geweckt, die sanft die Schlafzimmervorhänge bewegte, von der Sonne, die ihm aufs Gesicht schien, und von der Hand, die ihm sanft seine Erektion massierte. Er lächelte selig und drehte sich auf die Seite.
»Hallo, du«, sagte er.
»Hola, papa.«
Der Junge hieß Isidro, war zweiundzwanzig Jahre alt und arbeitete hinter der Bar des Striptease-Clubs Baobab in der Altstadt. Als Fearon vor anderthalb Jahren den Club besucht hatte, war die Bekanntschaft mit dem jungen Mann das einzig Erfreuliche für ihn gewesen. Drogenbenebelte Huren, die sich um Metallstangen wanden, gaben ihm überhaupt nichts – doch er war lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass der Kunde immer recht hat. Und dieser Kunde war eben zufällig ein Verwaltungsangestellter aus der Provinz gewesen, der beim lukrativen Kauf eines Landstückes südlich von Malindi das letzte Wort hatte. Während der Mann mit offenem Mund die Tänzerinnen begaffte, bestellte Fearon überteuerten Champagner und verliebte sich.
Nachdem Isidro den älteren Mann mit geübten Griffen zum Orgasmus gebracht hatte, schlüpfte er aus dem Bett und ging duschen. Fearon blieb keuchend zurück und wünschte sich, er wäre dreißig Jahre jünger und vierzig Kilo leichter.
»Wann musst du zur Arbeit?«, rief er.
»Um halb zwei«, übertönte Isidro das plätschernde Wasser.
»Aber es ist doch noch nicht mal neun.«
»Ich will vorher noch einkaufen.«
»Ich kann dich fahren, wenn du willst.«
Der Junge kam zurück ins Schlafzimmer und rubbelte sich das glänzende schwarze Haar mit dem Handtuch trocken. Fearon stützte sich auf den Ellbogen und ließ seinen Blick auf Isidros
Weitere Kostenlose Bücher