Die Spur der verlorenen Kinder
verlor.
Siebenundzwanzig
Wheaton erwachte ruckartig, kurz nach ein Uhr nachts. Er wusste, dass etwas nicht stimmte. Aber was?
Er lauschte, hörte im Haus aber nichts Beunruhigendes oder Ungewöhnliches. Die Geräusche, die durch die Stille drangen, waren die üblichen – das Klicken wenn sich die Klimaanlage einschaltete, Zweige, die über die Fenster kratzten, und der Wind, der durch die Pinien rauschte. Wind hieß, dass es regnen würde.
Und dann fiel es ihm auf. Er hörte nicht das Klacken von Sunnys Krallen auf dem Boden. Die Hündin wanderte oft mitten in der Nacht umher, fraß ein wenig Trockenfutter in der Küche, kratzte ihre Flöhe, sprang auf Sitzmöbel, auf die sie nicht durfte. Selbst wenn Rusty lange wegblieb, was er immer häufiger tat, war der Hund normalerweise hier. Aber heute nicht.
Wheaton warf sein Laken beiseite und ging durch den Flur zu Rustys Zimmer. Der Junge hatte sein Zimmer abgeschlossen, wenn er nicht zu Hause war, und Wheaton, der glaubte, dass es so eine Teenagerphase war, widersetzte sich diesem Wunsch nach Privatsphäre nicht. Aber jetzt war die Tür nicht verschlossen, und kaum hatte er sie geöffnet und das Deckenlicht eingeschaltet, wurde ihm klar, wie dumm sein Respekt vor Rustys Privatsphäre gewesen war. Das Zimmer war leer.
Weg, alles war weg – der CD-Spieler, der Computer, die CDs, die Software, das Radio, der Wecker, Poster, Musik, Kalender, alles. Die Wände waren nackt, der Schrank war leer. Abrupt breitete sich Panik in seinem Inneren aus. Wo bist du hin, Rusty? Zu den Bullen? Zu Fontaine?
Wheaton ging hinüber zum Bett, riss die Decke von der nackten Matratze, zog den Bezug ab, griff sich das Kissen und warf alles hinaus in den Flur. Er zerrte die oberste Schreibtischschublade heraus. Leer. Er öffnete die anderen Schubladen, leer, leer, leer. »Du undankbare Kröte«, fluchte er und riss die oberste Schublade ganz heraus, warf sie an die Wand. »Verdammter Verräter.« Noch eine Schublade. Und noch eine.
Er kickte die Trümmer der Schubladen beiseite und ging zum Schrank. Er riss die Bügel von der Stange, warf Schuhschachteln auf den Boden, und plötzlich griff er nach der Stange und riss sie einfach aus der Wand.
Er ist ohne ein Wort abgehauen.
Wheaton wandte sich um, schwang die Stange, schlug damit gegen den Bettrahmen, den Schrank, auf die Matratze. Er schlug gegen die Wände, den Schreibtisch, die Schranktür, die Schlafzimmertür. Und als er fertig war, atmete er schwer, er schwitzte, seine Wut war verbraucht. Er betrachtete das Durcheinander – die Keime, Herr Gott, die Keime, die hier jetzt umherfliegen –, dann trat er aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
Und da erreichte ihn die Erinnerung, sie durchfuhr ihn, nahm ihn in Beschlag, eine Erinnerung, die schon so alt zu sein schien und doch so frisch wirkte, fast neu. Wie kann sie beides sein?
In dieser Erinnerung, oder was immer es war, hatte Mira Morales das Haus des jungen Wheaton zusammen mit Fontaine besucht, um Eva wegen des Mordes an Billy Macon zu befragen. Und im Flur zum Badezimmer, während ein junger Wheaton eine Strähne von Miras Haar um seinen Finger wickelte, hatte Mira ihm das Knie in die Eier gerammt. Hier ist eine Botschaft für dich, Wheaton. Ich bin durch den Korridor gekommen und weiß, was du vorhast. Wenn du meiner Tochter etwas antust, folge ich dir bis ans Ende des verdammten Universums. Nimm das mit durch die Zeit.
Wie konnte das passiert sein? Wie war sie ihm durch den Korridor gefolgt? Und wie hatte sie Fontaine getroffen? Ich weiß, was du vorhast. Wie?
Meine Mutter ist übersinnlich begabt …
Wie viel hatte sie Fontaine erzählt?
Jedes Wort war zu viel.
Wheaton rannte in sein Schlafzimmer, riss seine Schranktür auf, holte zwei der Koffer heraus, die er bereits in Vorbereitung auf das Ende gepackt hatte. Und das Ende war jetzt gekommen.
Er eilte nach unten und lud die Koffer in den Bus. Als Nächstes packte er seine Computer, den Fernseher und den Videorekorder aus seiner eigenen Zeit, die Nintendo-Anlage, die Spiele, die DVDs ein. Das Haus in Miami war mit fast allem ausgestattet, was Evie, er und das Baby brauchen würden, aber Verdächtiges durfte er nicht zurücklassen.
Er sammelte Telefone, Computerzubehör, Videokamera und -bänder ein. Er hatte den Großteil seines Geldes von der Bank abgehoben und es Stück für Stück auf sein Harvey-O’Connor-Konto eingezahlt, besaß aber noch einige Schmuckstücke. Er musste sie holen und dann zu dem
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