Die Spur der verlorenen Kinder
Knie sacken. Er legte seinen Matchsack ab und öffnete den Deckel der Ausrüstungskiste. Er konnte nicht alles mitnehmen, es war einfach zu viel, also wählte er etwas von dem Essen aus, Wasser und die wichtigsten Dinge aus der Erste-Hilfe-Ausstattung. Er nahm seinen Regenumhang vom Floß und zog ihn über, knallte den Deckel auf die Ausrüstungskiste und hängte sich seinen Matchsack über die Schulter. Seine Beine fühlten sich fremd an, als wären sie ihm amputiert worden und er hätte stattdessen Prothesen bekommen. Es fiel ihm schwer aufzustehen, das Floß über die Düne und durch den Strandhafer zu ziehen. Er erlaubte sich nicht, darüber nachzudenken, wo er jetzt sein könnte, ob er es tatsächlich zurück ins Jahr 1968 geschafft hatte oder ob er einfach nur vom Kurs abgekommen und auf einer der nahen, unbewohnten Inseln gestrandet war. Sein einziger Gedanke war, das Floß zu verstecken und vom Strand zu verschwinden, damit ihn nicht der Blitz traf.
Er blieb kurz unter den knorrigen Zweigen eines Meertraubenbaums stehen, um seine Laufschuhe auszuziehen und die Sandalen mit den Klettverschlüssen überzustreifen. Er überprüfte seinen Kompass, seine Uhr, seine Taschenlampe. Alles funktionierte wieder. Er zog sein Handy heraus und schaltete es ein. Der Akku ging, aber als er Goots Handynummer eingab, passierte gar nichts. Er erhielt nicht einmal die Nachricht, dass er keinen Empfang hatte.
Heißt das, ich habe es geschafft?
Es blitzte wieder, und der Strand war taghell erleuchtet. Ein lautes Knistern hallte durch die Luft, und ein Baum, vielleicht zehn Meter von Sheppard entfernt, stürzte plötzlich um. Dann öffnete sich der Himmel, und Regen ergoss sich auf die Erde, der Wind blies ihn ostwärts. Sheppard stellte schnell die Ausrüstungskiste in den Sand, schob das Floß darüber, bedeckte es mit Blättern und Zweigen.
Er schaltete seine Taschenlampe ein, huschte aus dem Schutz des Baumes und lief durch den Strandhafer eine kleine Steigung hoch bis zu einer unbefestigten Straße. Es regnete zu sehr, als dass er hätte sagen können, wo zum Teufel er war. Er schaute auf den Kompass. Wenn er sich an der Westküste Tangos befand, dann musste er nach Süden gehen, ob er nun in seiner eigenen Zeit war oder im Jahr 1968. Wenn er irgendwo anders gelandet war, wäre es ohnehin egal, in welche Richtung er ging. Einzig wichtig war, dass er in der richtigen Zeit war.
Er zog eine Wasserflasche aus seinem Matchbeutel, nahm einen Schluck, und begann dann, nach Süden zu joggen, das große Regencape hielt ihn relativ trocken, abgesehen von seinen Füßen. Es blitzte immer wieder, und der Donner wurde lauter und kam näher. Der Strahl seiner Taschenlampe huschte von einer Seite zur anderen, suchte nach Menschen, Autos, Häusern, irgendetwas, das ihm sagte, wo er sich befand. Er kam an Weideland vorbei, Kühe drängten sich unter Bäumen zusammen.
Dann, knapp einen Kilometer weiter, entdeckte er ein Motel auf der linken Seite der Straße und ein weiteres Gebäude auf der rechten. Das Motel sah verlassen aus, und obwohl auch in dem anderen Gebäude kein Licht brannte, standen auf dem Parkplatz ein halbes Dutzend Harleys und zumindest genauso viele Autos. Er leuchtete mit der Taschenlampe an ihnen entlang: Alle schienen aus den Fünfzigern und Sechzigern zu sein. Das hieß natürlich nicht, dass er es geschafft hatte. Vielleicht war es ein Oldtimertreffen.
Klar, um diese Nachtzeit?
Sheppard lief zur Tür. WIR HABEN LEIDER GESCHLOSSEN stand auf dem Schild.
Aber er hörte Musik und Gelächter von drinnen.
Er drehte den Knauf, drückte die Tür auf und trat hinein. Die Musik hörte nicht auf, doch alles andere schien zu erstarren. Männer und Frauen wandten sich um und starrten ihn an. Die vier Typen, die Billard spielten, drehten sich um und sahen ihn an. Die Leute an der Bar, der Barkeeper, zwei Kellnerinnen: Alle starrten.
Sheppard schloss die Tür, schob die Kapuze von seinem Kopf, trat an den Tresen. »Wir haben schon geschlossen«, sagte der Barkeeper.
Er sah aus wie ein Hippie, aber auch das hieß nicht unbedingt, dass es 1968 war. »Ist das hier Rum Runners?«, fragte Sheppard.
»Allerdings«, sagte der Mann und wischte über den Tresen. »Und wir schließen um eins.«
»Ich suche Jake Romano.«
»Und wer sind Sie?«
»Wayne Sheppard, ein Freund von Mira.«
Der Mann hörte auf zu wischen. Er schaute auf. »Du hast lange genug gebraucht, es hierherzuschaffen.«
»Entschuldigung?«
»Du bist doch der
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