Die Spur der verlorenen Kinder
spüren, auf seinem Kopf, seine bleiernen Füße. Er konnte immer noch das schmerzliche Gefühl wahrnehmen, als der Korridor sich um ihn geschlossen hatte, als würden seine Knochen, sein eigenes Skelett, komprimiert, zerdrückt, ausgelöscht. Er war auf seinem Boot zu sich gekommen, kurz vor dem Anleger von Tango. An Land hatte er ungefähr zehn Minuten gebraucht, um zu begreifen, dass er sich nicht mehr länger in seiner eigenen Zeit befand.
Er hatte zehn Tage im September 1962 verbracht, und mehrere dieser Tage hatte er sein Motelzimmer nicht verlassen, er war kränker als je zuvor in seinem Leben. Er hatte die Krankheit überlebt – er wusste immer noch nicht, wie oder warum. Und dann hatte er angefangen, sich zusammenzureimen, was geschehen war und wie er in seine eigene Zeit zurückkehren könnte. Er hatte drei Versuche benötigt, und als es schließlich klappte, war es bei Weitem nicht so schrecklich oder schmerzhaft gewesen. Er hatte nicht einmal das Bewusstsein verloren.
Vermutlich war sein Plan, der Frau, die damals mit ihm verheiratet war, Geld zu stehlen, entstanden, als er zurück zur Küste fuhr. Seine Gedanken rasten, er überlegte sich eine Ausrede, wo er gewesen sein sollte. Verloren auf See. Wer konnte ihm das Gegenteil beweisen?
In den nächsten paar Wochen hatte er alles darüber zusammengesucht, was er finden konnte, wann es die Felder in der Vergangenheit schon einmal gegeben hatte. Er hatte Daten, Zeiten, die Größe der Felder und ihre Koordinaten zusammengetragen und begonnen, eine Theorie zu entwickeln, dass das schwarze Wasser quasi das Wurmloch von Mutter Natur darstellte, einen Korridor durch die Zeit. Eine Anomalie. In wissenschaftlichen Kreisen spekulierte man seit Jahren über Zeitreisen, und mittlerweile hatten einige Physiker akzeptiert, dass sie theoretisch möglich wären. Aber auch in den Augen dieser Wissenschaftler waren Zeitreisen für Menschenwesen noch Äonen entfernt.
Wheaton war überzeugt, wann immer die Felder sich in Vergangenheit und Gegenwart an denselben Koordinaten formten, entstand ein Wurmloch. Seine Nachforschungen ergaben, dass solche Felder sich auch an anderen Orten als der Florida Bay gebildet hatten – vor den griechischen Inseln, den Kanarischen Inseln, den Galapagosinseln, der Osterinsel sowie zwischen Neuseeland und Australien. Man hatte sie in der Nähe von Manaus, Brasilien, gesichtet, vor Cape Cod und in der Südchinesischen See. Außerdem im Bermudadreieck, jenem Bereich im Atlantik, den Charles Berlitz mit der Veröffentlichung seines danach benannten Buches zu einem allseits bekannten Ort gemacht hatte.
An einigen dieser Orte wurden die Felder seit Jahrzehnten dokumentiert, und es gab mündliche Überlieferungen, die Jahrhunderte zurückreichten. In vielen Fällen jedoch war ihre Größe zu gering, um von vielen Leuten bemerkt zu werden, oder das Ganze war zu dicht an Ländern der Dritten Welt geschehen, für die Meeresökologie nun wirklich ganz unten auf der Liste der wichtigen Dinge stand. Er war sicher, dass das schwarze Wasser für viele Fälle verloren geglaubter Boote und Schiffe verantwortlich war. Es war möglich, dass die Felder auch das Verschwinden bestimmter Meerestiere erklärten.
Er hatte Jahre an seiner Theorie gearbeitet, wie das schwarze Wasser tatsächlich funktionierte. Der entscheidende Augenblick war gekommen, als er bei einem seiner Ausflüge in seine eigene Zeit ein wissenschaftliches Papier über parakristalline vesikuläre Vernetzungen im menschlichen Gehirn entdeckte. Diese Netze waren so winzig, dass es Milliarden von ihnen im Gehirn gab, man fand sie an den Enden der Nervensynapsen. So wie Wheaton es verstand, deutete die Tatsache, dass es im Gehirn überhaupt solche kristallinen Strukturen gab, darauf hin, dass sie den Gesetzen der Quantenphysik unterlagen. Letztlich erzeugten diese Netze ein quantenmechanisches Wahrscheinlichkeitsfeld, das gemeinsam mit dem menschlichen Bewusstsein im Grunde Ereignisse erst erzeugte.
Er vermutete, dass jener Ort reiner Dunkelheit im Feld des schwarzen Wassers – das, was er den Korridor nannte – ein Wahrscheinlichkeitsfeld analog zu den parakristallinen vesikulären Netzen im Gehirn darstellte. Wenn er den Korridor an bestimmten Koordinaten betrat, reagierten die Netzstrukturen in seinem Gehirn und das Wahrscheinlichkeitsfeld der schwarzen Wassermasse miteinander, und der Geist wurde eine Art Zeitmaschine. Als Ergebnis der Beobachtung – seiner Anwesenheit im Korridor –
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