Die Spur der Woelfin
erste Erkenntnis verschaffte ihr Erleichterung. Die zweite definitiv
Unbehagen: Vince war nicht im Raum, und jemand hatte ihr eines ihrer
Nachthemden angezogen. Beides realisierte sie im selben Moment und brachte sie
dazu, Patrick misstrauisch zu mustern. Er schien ihre Gedanken zu erraten und
schenkte ihr ein schiefes Lächeln.
»Vince ist laufen gegangen. Deine Anwesenheit hat ihn mehr geärgert, als
ich angenommen hatte.«
Laufen gegangen. Verwirrt sah sie ihn an, holte aber tief Luft, als ihr
zu dämmern begann, was er damit meinte.
Plötzlich machte das alles einen Sinn. Laufen gehen, Gemeinsamkeiten
zwischen Patrick, Vince und dem Mörder. Ein Wolf, der Vince gerufen wurde, dann
ein Mann mit gleichem Namen ...
Werwölfe, sie war unter Werwölfe geraten! Es war das erste
Mal, dass sie diesen Gedanken bewusst für sich formulierte, und sofort stellte
sich die Panik wieder ein. In was war sie da hineingeraten? In einen Haufen
Verrückter? So etwas wie Werwölfe gab es nicht.
Sie warf einen Blick auf Patrick. Eigentlich machte er nicht den
Eindruck auf sie, verrückt zu sein. Er wirkte sogar erschreckend normal. Viel
zu normal, und es machte ihr Angst, dass er glaubte, was er ihr da aufzutischen
versuchte.
»Ich will niemandem zur Last fallen«, meinte sie eilig und wollte aufstehen.
Sie musste hier weg, doch seine Hand an ihrem Arm hielt sie zurück. »Wenn Vince
nicht will, dass ich hier bin, werde ich besser gehen.«
Stur schüttelte Patrick den Kopf. »Ich will, dass du bleibst, und Vince
wird sich hüten, etwas dagegen zu sagen. Vielleicht ist er im Moment wütend,
aber er wird sich damit abfinden müssen.« So wie er das sagte, klang es, als ob
es das Normalste der Welt wäre, dass sich ein Mann wie dieser Vince einfach dem
Willen eines anderen unterordnete.
Unterordnen, das Wort blieb in ihrem Kopf
hängen, und schließlich begriff sie. Der knappe Befehlston, den Patrick den
Abend über zur Schau gestellt hatte, die Männer, die seine Anweisung ohne
nennenswerte Widerrede befolgt hatten ... Normale Wölfe lebten in Rudeln mit
einer festen hierarchischen Struktur. Bei Baidur hatte sie erkennen können,
dass er diese Struktur auch auf ihre Familie übertragen hatte. Ihr Vater war
sein Alpha. Und Vince würde sich hüten, die Befehle seines Alphas zu
missachten.
»Patrick, sag mir bitte, dass das alles nur ein böser Traum ist«,
flüsterte sie erstickt, als die Tränen ihr in die Augen schössen. Und als sie
über ihre Wangen zu laufen begannen, zog er sie an sich, und sie lehnte hilflos
ihre Wange an seine Schulter.
»Ich werde dich nicht anlügen, Laura. Ich weiß nicht, was in Daves Kopf
gerade vorgeht. Und deshalb will ich, dass du hier bleibst, wo wir auf dich
aufpassen können. Er wird es nicht wagen, dich oder einen von uns hier
anzugreifen.«
Es hatte wohl tröstlich klingen sollen, doch alles, was er damit bei
Laura erreichte, war, dass sie laut aufschluchzte und ihr Gesicht fest in seine
Halsbeuge presste. »Dave?«, flüsterte sie erstickt, als die Schluchzer langsam
wieder abebbten, und spürte, wie die Hände, die bisher ihren Rücken
gestreichelt hatten, kurz verharrten.
»Dave Campbell«, erklärte er kühl. »Der Mann, der deine Arbeitgeber
umgebracht hat.«
Sie verschluckte sich. Hustend machte sie sich schließlich von ihm los
und rutschte auf dem Bett zurück, bis sie mit dem Rücken am Kopfende lehnte.
»Warum hast du das bisher noch nicht der Polizei gesagt? Warum verschweigst du
das, wenn du so viel über ihn zu wissen scheinst?«
Er lächelte kalt. »Was soll ich sagen? Die Polizei wird herausfinden,
dass ein wildes Tier die beiden angefallen hat, und es dann dabei bewenden
lassen. Ich würde mich verdächtig machen, wenn ich Hinweise gäbe, und das kann
das Rudel nicht gebrauchen. Außerdem wäre die Polizei machtlos. Sie können
einen Werwolf nicht stoppen. Und Dave ist nicht dumm genug, um ihnen vor die
geladenen Flinten zu laufen.«
Laura schluckte, nickte dann aber schwach. Es klang logisch, was er
sagte. »Warum erklärst du mir das alles?«, fragte sie schließlich einer
Eingebung folgend. Sie wollte nicht so recht daran glauben, dass er so etwas
öfter wildfremden Menschen erzählte.
Und irritiert erkannte sie, dass er es auch nicht wusste, als er etwas
ratlos die Schultern hob und von der Bettkante aufstand.
»Vielleicht weil ich dich mag«, meinte er, klang dabei aber mindestens
so überrascht wie sie von seiner Antwort.
Ob er jetzt einen guten Abgang proben
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