Die Spur der Woelfin
das alles nur überleben.«
Mit gehobener Braue drehte sie sich zu ihm herum. »Nichts da, du wirst
gefälligst mit anfassen, wenn es so weit ist.«
Nachdem sie Vince auch noch das Bad gezeigt und ihm das Bett bezogen
hatte, hatte sie sich hingelegt. Sie war mittlerweile über achtzehn Stunden auf
den Beinen, und ihr ganzer Körper schrie nach Schlaf. Auch Vince wirkte
übermüdet, und er wirkte es immer noch, als er um sieben Uhr gegen ihre
Zimmertür klopfte.
Laura war zwar schon eine Weile wach, hatte sich aber nicht so recht
dazu aufraffen können, wieder aufzustehen. Und so lag sie noch im Bett, als
Vince unaufgefordert den Raum betrat.
»Dir macht das wirklich Spaß, nicht wahr?«, schnappte sie, nachdem sie
sich von ihrem ersten Schreck wieder erholt hatte. Anscheinend war er, so wie
er eingeschlafen war, wieder aufgestanden und zu ihr herübergekommen. Lediglich
in knappen Shorts kam er ins Zimmer und setzte sich ungefragt zu ihr aufs Bett.
»Gewöhn dich besser dran. In den letzten Wochen haben alle Rücksicht auf
dich genommen, aber wenn du langer bleiben willst, bekommst du dieses Privileg
nicht mehr eingeräumt. Dann wirst du noch erheblich mehr zu sehen bekommen -
und das von allen.«
Laura konnte es nicht verhindern, dass sie bei dieser Vorstellung rot
anlief. Und was noch viel schlimmer war als die Vorstellung: Sie hatte nicht
das Gefühl, dass er sie damit lediglich aus der Fassung bringen wollte. »Du meinst das ernst,
oder?«, hakte sie vorsichtig nach und hörte ihn
schnauben.
»Niemand von uns besitzt in dieser Hinsicht irgendwel che Schamgefühle. Wir ziehen uns
aus, wir verwandeln uns ... und wenn wir uns zurückverwandeln, ist
das meist nicht dort, wo unsere Sachen sind. Scham ist in
sol chen Momenten nur hinderlich.«
Das würde Laura erst mal verdauen müssen. Keine Scham? Himmel, sie
würde sich schon schämen, sollten ih re Eltern sie jemals nackt
sehen. Allerdings ... überlegte sie weiter, bei Freundinnen
machte ihr das auch nichts aus. »Was wolltest du eigentlich?«
»Ich wollte wissen, wo ich hier laufen kann. Spätestens morgen muss ich
raus.«
Daran hatte Laura noch nicht einen einzigen Gedanken verschwendet. »Oh
je«, stieß sie schließlich aus. »Hier gibt's überall nur flaches Land und
Felder. Der nächste Wald liegt südlich von Esens. Zu Fuß viel zu weit, ich fahr
dich hin.« Sofort kletterte sie aus dem Bett und wollte sich ihre Sachen
schnappen, als er sie aufhielt.
»Ich kann das auch allein, Laura.« Er klang irgendwie ... verwirrt, und
sie wirbelte auf dem Absatz wieder zu ihm herum.
»Mit dem Auto brauchen wir ungefähr zwanzig, vielleicht dreißig Minuten.
Es ist einfacher, wenn ich dich hinfahre, als wenn du dich auf dem Weg
mindestens dreimal verfährst.« Sie griff nach ihren Sachen und hatte eigentlich
im Bad verschwinden wollen, als seine Worte sie zurückhielten.
»Laura, warum bist du so?«
»Wie bin ich denn?«, fragte sie amüsiert zurück und sah, wie seine Miene
sicher verdüsterte.
»Warum zum Teufel kannst du dich nicht wie jeder andere Mensch benehmen
und schreiend davonlaufen, wenn du uns siehst?«, platzte es schließlich aus ihm
heraus.
Laura sah ihn verdattert an und lachte. »Hey, beim ersten Mal bin ich
ohnmächtig geworden. Reicht das nicht?«
Augenscheinlich nicht. Vince grummelte etwas Unver ständliches und machte eine wegwerfende
Handbewe gung.
»Vince«, meinte sie nach einer Weile ernst. »Wir haben beide das gleiche
Problem. Wir beide wünschen uns, dass wir einander nie über den Weg gelaufen
wären. Du wolltest nicht, dass ich etwas über euch erfahre, und ich hätte mir
auch etwas Schöneres ausgesucht, wenn man mich gelassen hätte. Aber es ist nun
mal passiert, und ich habe es akzeptiert. Jetzt tu du das bitte auch.« Und mit
diesen Worten verschwand sie im Bad und überließ es ihm, mit dem Gesagten
fertig zu werden.
Es war der wohl schrägste Abend, den sie In ihrem bisherigen Leben
erlebt hatte. Nachdem sie sich geduscht und angezogen hatte, hatte sie Vince
tatsächlich zu dem großen Waldstück gefahren, wo er für anderthalb Stunden
verschwunden war, ehe er — höflicherweise bekleidet -wieder zu ihr
zurückgekehrt war. Sie hatte keine Ahnung, warum sie es ihm danach vorgeschlagen
hatte, vielleicht, um das Kriegsbeil zu begraben, aber sie hatte es getan. Und
er hatte eingewilligt. Also waren sie in die Videothek gefahren, um sich Filme
auszuleihen. Dabei hatte Laura feststellen dürfen, dass sie tatsächlich
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