Die Spur der Woelfin
den Tag legte.
»Das war auch nicht gelogen«, versuchte er es in ruhigem Ton, doch ihm
war anzusehen, dass er verärgert war. »Aber ich weiß auch, dass sie nötig ist,
wenn wir alle überleben wollen.«
Sie schnaubte verächtlich und sah misstrauisch dabei zu, wie er sich auf
die Bettkante setzte.
»Hätte ich hingehen und ihn höflich fragen sollen, wo Dave sich
versteckt? Hätte ich ihn anflehen sollen, mir zu verraten, was dieser als
Nächstes geplant hat?« Er wirkte erschöpft, schoss es ihr durch den Kopf, und
im selben Moment sank ihre Wut. Und sie verging, als er müde den Köpf auf die
Hände stützte.
»Es ist eine einfache Regel, die uns unser ganzes Leben lang begleitet:
Du oder er. Und wenn du zögerst, könnte das Schicksal sich für den anderen
entscheiden. Vielleicht ist es innerhalb des Rudels nicht mehr so, aber in
allen anderen Bereichen gilt es noch immer. Wir können uns keine Nachsicht
erlauben. Nicht, wenn wir selber überleben wollen.«
Es war ungeschminkte Wahrheit, was er ihr mit seinen Worten
präsentierte, und Laura brauchte eine Weile, ehe sie das für sich verdaut
hatte.
»Ich habe mich nie dafür bedankt, dass du Vince damals zurückgepfiffen
hast«, meinte sie dann aber leise und sah.
wie er den Kopf hob. Er wusste sofort, auf was sie anspielte, sein
schmerzliches Lächeln war dafür Beweis genug.
»Wenn es nach mir gegangen wäre, hättest du davon nie etwas erfahren«,
gestand er, und sie lächelte. Wenn es nach mir gegangen wäre ... Eine
seltsame Aussage für den Anführer eines Rudels. Eigentlich besaß Patrick den
alleinigen Führungsanspruch, aber ihr war schon öfter aufgefallen, dass er ihn
in manchen Gelegenheiten einfach nicht wahrnahm. Das Rudel hing irgendwo
zwischen einem paritätischen und einem autoritären Führungssystem. Bei
wichtigen Entscheidungen zog er sich oft mit Vince und Malcolm zurück, um mit
ihnen die nächsten Schritte abzuwägen. Und auch wenn er im Anschluss daran die
Befehle allein gab und auch die daraus erwachsenden Konsequenzen allein trug,
so geschah dies doch zumeist erst nach Rücksprache mit den anderen. Er war
nicht so stolz, dass er nicht in manchen Fällen die anderen in seine
Überlegungen mit einbezog.
»Es ist in Ordnung«, erwiderte sie mit einem kleinen Lächeln und setzte
sich zu ihm auf das Bett. »Vielleicht erschreckt es mich im Moment, aber ich
kann es verstehen.« Und als er den Arm um sie legte, ließ sie den Kopf
an seine Schulter sinken.
Es war schlichte Höflichkeit, was die anderen ihr gegenüber zum
Schweigen brachte, als sie es schließlich wieder wagte, sich in die untere
Etage zu begeben. Niemand verlor ein Wort über die Geschehnisse des Tages oder
den Mann im Keller. Selbst Vince schwieg dazu, obwohl die Spuren, die der
Nachmittag an ihm hinterlassen hatte, nicht zu übersehen waren. Die Knöchel
seiner rechten Hand waren aufgeschlagen, und ein Feilchen begann, sich an
seinem linken Auge zu bilden. Nur schwach, aber es
reichte aus, um Laura beständig an das Vorgefallene zu erinnern. Und
auch wenn die anderen demonstrativ zum Alltag zurückkehrten, blieb ihr Blick
doch immer wieder an Vince hängen, der ihr beständiges Starren allerdings
gekonnt ignorierte.
Doch auch wenn Laura wirklich verstand, warum sie nicht anders hatten
handeln können, so hieß das noch lange nicht, dass sie sich dadurch leichter
ums Herz fühlte. Ihre Stimmung war miserabel, und der heftige Regen, der am
späten Nachmittag eingesetzt hatte, schien nur eine Entsprechung ihrer
derzeitigen Laune zu sein.
Der Regen war genauso beständig wie ihre Stimmung, und beides hielt sich
auch noch am nächsten Morgen. Mit verkniffenen Lippen sah Laura aus dem
Küchenfenster und ballte die Hände zu Fäusten. Sie hatte sich beschäftigen
wollen, hatte die Türen aus der oberen Etage reparieren wollen. Doch der Regen
machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Sie würde sich also eine andere
Beschäftigung suchen müssen, wenn sie nicht den ganzen Tag um die anderen
herumschleichen wollte.
Wäsche waschen wäre eigentlich dringend notwendig gewesen, doch dazu
hätte sie in den Keller gemusst, und das wollte sie um jeden Preis vermeiden.
Wenn jemand seine Sachen vermisste, würde er schon selbst Hand anlegen müssen.
Sie musste raus hier. Sie wollte nicht in diesem Haus bleiben, wo sie
sich beständig daran erinnerte, dass im Keller ein Mann eingesperrt worden war.
Und das Letzte, was sie wollte, war, dass sie noch einmal seine Schreie
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