Die Spur der Woelfin
denjenigen geschah, die sich ihm in den Weg stellten.
Wie Daniel sagte, ging Kenneth mit einem gelassenen Schulterzucken darüber
hinweg, ließ die Leichen verschwinden und machte weiter, als wäre nichts
geschehen.
Laura hatte ihm das unbesehen geglaubt, und ihr Magen krampfte sich
zusammen, als sie nun sah, wie Kenneth das Haus betrat und auf direktem Weg zum
Keller ging. Sie machte nicht den Versuch, ihn aufzuhalten und nach
dem Grund dafür zu fragen. Es war ihr klar, warum er allein gekommen
war: Sie waren fündig geworden. Und obwohl sie eigentlich kein Mitleid hatte
haben wollen, überrollte sie dieses Gefühl, als sie daran dachte, was ihm
bereits zugestoßen war und was noch auf ihn zukommen würde.
Vince und Kenneth würden sich des Kerls gemeinsam annehmen, und das
alles mit freundlicher Genehmigung ihres Alphas. Laura versuchte, nicht darüber
nachzudenken, was sie alles mit dem Kerl anstellen würden, aber wie von selbst
kehrten ihre Gedanken immer wieder an diesen Punkt zurück.
»Laura, geh nach oben, wenn du das nicht sehen willst.«
Als sie sich zu der Stimme umdrehte, sah sie Patrick im Türrahmen der
Bibliothek lehnen. Und sie schluckte bei dem ernsten Ausdruck, den er zur Schau
stellte. »Sie werden gleich hier sein«, setzte er noch nach, und sie nickte,
als sie beinahe im gleichen Moment den Wagen die Auffahrt hinaufkommen hörte.
Sie war nicht schnell genug. Vielleicht war es auch ihre innere Neugier,
die sie dazu bewog, sich herumzudrehen, als die anderen durch die Haustür
kamen. Sie wusste es nicht. Aber sie blieb wie angewurzelt stehen, als sie das
hinkende Häufchen Elend sah, das die Männer in ihrer Mitte hielten. Sie hatten
ihm die Hände auf dem Rücken gefesselt, und er sah aus, als wäre er mit einem
Auto zusammengestoßen. Das linke Auge war zugeschwollen, und die rechte
Gesichtshälfte wirkte irgendwie deformiert. Blut klebte an seinem Mundwinkel,
und eine Platzwunde zierte sein Kinn, aber niemand hatte sich die Mühe gemacht
und die Wunde auch nur notdürftig gesäubert. Stattdessen trieben sie den Mann,
der nicht mal mehr in der Lage schien, aufrecht zu gehen, immer weiter vor sich
her, bis er die Treppe zum Keller erreichte. Und niemand
hielt ihn fest, als er mit dem Fuß an der Kante hängen blieb und
kopfüber die Treppe herunterfiel. Ein bitterer Geschmack stieg ihr in den Mund,
und hastig wandte sie sich ab, als sie kurz einen Blick in Vinces Gesicht
erhaschte. Er lächelte sogar. Ihm schien das Ganze Spaß zu machen. Und so
schnell sie konnte, lief sie nach oben und auf direktem Weg in ihr
Schlafzimmer.
Über Stunden blieb sie in diesem Raum, widmete sich ihrem Notebook, das
sie mitsamt ihrer angefangenen Hausarbeit in den letzten Wochen vollkommen
vergessen hatte, spielte aber auch jetzt lediglich Karten, um sich von den
Vorgängen zwei Etagen tiefer abzulenken.
Zweimal drangen Schreie zu ihr herauf, und jedes Mal spürte sie, wie ihr
das Blut aus den Wangen wich. Zwei Mal hatte der Schmerz diesen Mann dazu
gebracht, so laut zu werden, dass er zwei gemauerte Etagen mit seinen Schreien
erfüllte.
Niemand unternahm in dieser Zeit den Versuch, sie aus ihrem Versteck
herauszuholen. Niemand klopfte an ihre Tür, und sie begriff erst, dass es
vorbei war, als sie Schritte auf der Treppe hörte und kurz darauf, wie in
beiden Badezimmern dieses Stockwerks die Duschen angestellt wurden. Allein dieses
Geräusch schnürte ihr die Luft ab, und mit einem lautlosen Stöhnen ließ sie
ihren Kopf auf die Hände sinken. Mehr denn je wollte sie von hier weg.
Sie wusste, dass sie nicht ewig würde hier oben bleiben können. Aber als
Patrick schließlich an die Tür klopfte, fühlte sie sich noch immer nicht
bereit, sich wieder nach unten zu begeben.
»Es hat keinen Sinn, sich hier einzugraben, Liebling«, meinte er leise,
als sie ihn hereinbat. Und als sie darauf keine Antwort hatte, kam er langsam
näher.
»Ihr seid nicht besser als er«, stieß sie schließlich aus und
sah, wie er die Lippen zusammenpresste. Doch dann mühte er sich um ein Lächeln,
das aber wieder verschwand, als er eine Hand auf ihre Schulter legte und sie
zurückzuckte, als hätte sie sich verbrannt.
»Du hast gesagt, dass du Gewalt verabscheuen würdest.« Ein deutlicher
Vorwurf schwang in ihren Worten mit, und als sie die salzige Nässe ihrer
eigenen Tränen auf ihren Wangen spürte, wischte sie sich ärgerlich durch das
Gesicht. Einmal mehr hasste sie sich für die Empfindlichkeit, die sie
neuerdings an
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