Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi
Wange.
»Ein bisschen spät heute. Ehe ich hier fertig bin, ist es weit nach Mitternacht.«
»Morgen?« Ein Schimmer Hoffnung.
»Übermorgen«, sagte sie zu den Scherben. »Da hab ich frei.«
»Soll ich Sie irgendwo abholen?« Und mit dir eine Runde im Cabrio drehen, fügte ich für mich hinzu. Sie lief weg und kam mit Besen und Kehrblech wieder.
»Nein. Nein.« Sie machte eine Pause und kehrte den Rest der Scherben zusammen. »Nein.«
Wie schade, dachte ich und erhob mich. Ich schrieb meine Nummer an den Rand eines Bierdeckels, so leserlich, wie es mir möglich war, nickte ihr zu und ging. Als ich mich umsah, ließ sie den Deckel in ihre Schürzentasche gleiten.
Ich blickte auf die Uhr. Keine Stunde war vergangen, dabei kam es mir vor wie morgens um drei. »Kurze Pause, Honey«, sagte ich und steuerte den Wagen in den ersten Feldweg, den ich entdeckte. Der Regen rauschte gleichmäßig. Vorsichtig tastete ich nach der Flasche, ohne ihr Profil aus den Augen zu lassen. Sie sah mich nicht an.
5
Müde hatte sich der Montag dahingeschleppt, und Julias Gewissen war ihm gefolgt. Zuviel Alkohol, der falsche Kerl, hatte es gesagt. Als sie zum ersten Mal seit Monaten das Polizeipräsidium betreten hatte, war sie endlich hellwach. Ihr Herz hatte sich fast überschlagen. Anfangen. Sie würde wieder anfangen. Es ist Ihre Entscheidung, hatte der Polizeiarzt am Morgen gesagt und etwas in seine Akte gekritzelt. Es hatte geklungen wie: Ich kann es dir nicht verbieten, aber ich halte nichts davon. Julia meinte die Erinnerung an die beiden Polizisten, die sich umgebracht hatten, in seinen Augen zu entdecken.
Sven grinste breit, als sie das Büro betrat, und zeigte endlich sein riesiges, gelbliches Gebiss, dem er seinen Spitznamen verdankte. Nichts hatte sich verändert. Eine Spur von Zigarettenrauch, die dort nicht hätte sein dürfen, hing in der Luft. Auf der Fensterbank mickerte die obligatorische Topfpflanze, nur der Coesfelder Stadtplan zwischen den beiden Aktenschränken war ausgetauscht worden. Auf Julias Schreibtisch lagerte eine dünne Staubschicht.
Stefan Fels schneite herein. »Was machen Sie denn hier?«
Das fragte sich Julia auch. Schweigen. Ihr fiel einfach nicht ein, was sie hätte sagen können. Dass sie wieder einsteigen wollte, obwohl der Polizeiarzt das anders sah? Eigentlich. Aber eigentlich galt nicht. Und: Wollte sie wieder arbeiten?
»Gehen Sie nach Hause«, sagte Fels und knallte einen Hefter auf Svens Schreibtisch. Er musste mit dem Polizeiarzt gesprochen haben. Julia ärgerte sich.
»Ja, ja, ich weiß. Einwohnermeldeamt, Ordnungsamt, die Schulen. Ich lege gleich los.« Sven stand auf und goss sich einen Kaffee in seinen getupften Becher. Er nippte, verzog das Gesicht und nahm einen kräftigen Schluck. »Julia kann die Vermisstensache übernehmen.«
»Sie ist krankgeschrieben«, sagte Fels, ohne sich zu ihr umzusehen. Er hatte ganz sicher mit dem Polizeiarzt gesprochen.
»Ist sie nicht mehr«, gab Julia zurück.
Fels fuhr herum. »Seit wann?«
»Seit eben.« Alles wusste Fels aber nicht.
»Das geht nicht. Ich will Sie hier erst wieder sehen, wenn Sie voll einsatzfähig sind.« Fels wedelte mit seinen Händen wie Maulwurfsschaufeln in der Luft und war schon an der Tür, als Julia ein »Aber ...« hervorbrachte. Bis dahin hatte sie geglaubt, Fels liege etwas an ihrer Mitarbeit.
Er drehte sich um, hochrot im Gesicht. Kein gutes Zeichen.
»Was, aber?«
Julia straffte die Schultern. »Ich könnte die Vermisstensache übernehmen.« Kurz zuckte sie. Sie hatte gerade gesagt, sie könne die Vermisstensache übernehmen.
»Die kann warten. Wenn Sie nicht voll einsatzfähig sind, kann ich Sie nicht brauchen.«
Einfach im Umgang war Fels nie gewesen, doch hatte ersein Team unterstützt. Oder hatte er sie einfach machen lassen, solange Conrad da war?
»Ein Mann mehr, wäre nun wirklich nicht verkehrt«, meldete sich Sven zu Wort. »Eine Frau geht auch«, setzte er hinzu und griente entschuldigend in Julias Richtung.
»Dann übernehmen Sie die Körperverletzungssache an dem Jungen und Böse, Frau Morgenstern?« Herausfordernd schob Fels das Kinn nach vorn. Julia schluckte und warf Sven einen Blick zu.
»Das kann ich machen. Wir können die Vermisstenmeldung doch nicht einfach liegen lassen«, kam Sven zu Hilfe.
»Ich habe keine Leute. Wenn zwei im Krankenstand sind, kann ich Vertretungen anfordern, die effektiv arbeiten. Mit einer, die in den wichtigen Fällen nicht ermittelt, kann ich nichts
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