Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi
Dolden am Ufer. Es roch nach Blüten und Sumpf, süß und schwer. Ihr Haar kitzelte meinen Arm. Unweit schnaubten Pferde, unsere Schritte knirschten im Kies. Je weiter wir gingen, je länger wir schwiegen, umso schwieriger erschien es mir, einen Anfang zu finden. Wörter wirbelten in meinem Kopf, die sich nicht zu Sätzen ordnen wollten, banales Zeug, ungeeignet für den Moment. Dabei hätte ich nur eine Handvoll gebraucht, um ein Gespräch zubeginnen, es wieder aufzunehmen und dem Augenblick die Leichtigkeit zu verleihen, die er verdiente. Meine Hände wurden feucht. Das Schweigen drückte.
Ich weiß nicht mehr, wie lange wir so nebeneinander hergingen, es kam mir lange vor, dann betraten wir einen Steg, der über die Berkel führte. Mitten darauf blieb sie stehen und wandte sich mir zu. Ihr Gesicht war kaum zu erkennen. Ein helles Oval, Augenschatten, die Vermutung ihres Mundes. Ich hätte sie küssen mögen.
7
Julia saß am Küchentisch und sah auf das Bild in der Akte von Rose Marie Lux, die sie mit nach Hause genommen hatte. Ohnehin interessierte sich im Polizeipräsidium niemand, fast niemand, für die junge Frau, die gewinnend vom Foto lachte, den Kopf zurückgeworfen, das Haar im Wind. Die Männer und Frauen um sie herum unterhielten sich, Biertische und Sonnenschein. Wann war es aufgenommen worden? Julia hatte nicht daran gedacht, Ute Volkert danach zu fragen. Die hatte es Bentrup gegeben, als sie Rose Lux vermisst gemeldet hatte, damit sie wussten, nach wem sie suchen sollten.
Julia nippte an ihrem Bier und schüttete es in den Ausguss. Es war Zeit, schlafen zu gehen. Eigentlich. Die »eigentlichs« nahmen überhand in ihrem Leben. Morgen musste sie … vieles. Unter anderem zu Bayer. Komischer Kauz. Aber er hatte ihr keine Fragen über ihre Geburt gestellt und keine vorschnellen Deutungen, so hieß das wohl, abgegeben. Dass er sie quasi rausgeschmissen hatte, um zu lesen, war eine andere Sache. Hatten alte Leute nicht den ganzen Tag Zeit, das zu machen, worauf sie Lust hatten? Wenn sie alt wäre, würde sie endlich tun, was sie schon immer hatte tun wollen. Sie dachte eine Weile darüber nach, was das war.
Plötzlich erschien Conrads Gesicht. Geschlossene Augen, bleich. Blau unterm Auge. Sie waren, weiß Gott, nicht immer einer Meinung gewesen. Anfangs, als sie aus Düsseldorf kam, hatte es einiges Gerangel gegeben. Um den Platz am Schreibtisch, um Fälle und Zuständigkeiten. Irgendwann hatte er sie auf ein Bier eingeladen, und sie hatten sich auf einen Burgfrieden geeinigt und sich mit einem Kuss vor ihrem Haus verabschiedet. Fast. Zu dir oder zu mir, hatte er gesagt. Das müsste verhandelt werden, hatte Julia geantwortet. Danach waren sie sich eine Weile aus dem Weg gegangen. Der Tod hatte sie wieder zusammengeführt, zwangsläufig. Und es war gut gegangen.
Sie hätte nicht mitkommen dürfen auf die Intensivstation. So hatte sie ihn nicht sehen wollen. Er war nicht der Typ für Ohnmacht. Jedenfalls wollte sie, dass es so war.
Irgendjemand musste seiner Mutter Bescheid geben. Ihre Mutter hätte auch wissen wollen, was mit ihrem Kind geschehen war. Sorgen würde sie sich, wie sie sich immer sorgte, mehr als nötig. Julia atmete tief ein. Um Rose Lux schien sich keine Mutter zu sorgen, oder weshalb hatte sich keine Verwandte gemeldet? Vielleicht mochten sie sich nicht. Vielleicht hatten sie miteinander gebrochen. Es gab schließlich kein Gesetz, dass man seine Verwandten mögen und Kontakt mit ihnen haben musste. Das Telefon quatschte wieder los. Sven.
»Wir haben die Eltern.«
»Und?«
»Rasid Chalid heißt der Junge. Libanon. Die Duldung ist vor drei Monaten abgelaufen. Sie sind illegal.«
Sie sind illegal, hallte es in Julias Kopf. Illegale Menschen. Noch vor drei Monaten waren sie legal.
»Wie?«
»Wie was?«
»Wie habt ihr sie gefunden?«
»Ein Nachbar hat angerufen wegen angeblicher Lärmbelästigung. Aber da war nichts. Der Lärm kam aus der Wohnung nebenan. Ein paar Typen haben Party gemacht.«
»Er hat sie verraten.«
»Was meinst du denn damit, Julia?«
»Wer war es?«
»Der alte Sack, der dauernd anruft. Die Hochhäuser, In dehell, Nummer weiß ich jetzt nicht. Werner Beck.«
Werner Beck war Frührentner, Kinderschreck und berüchtigt für seine Aufmerksamkeit gegenüber Falschparkern. Conrad hatte es auch schon erwischt. In und um die beiden Hochhäuser herum, die in den Siebzigern gebaut worden waren, um der Stadt eine inzwischen zweifelhafte Modernität zu verleihen,
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