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Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi

Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi

Titel: Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kuhlmeyer
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sprechen«, formte ihr Mund. »Fast nicht. Nur schimpfen kann er noch. Oder wieder. – Was weiß diese Person schon von Familienbeziehungen. Sie ist allein.«
    »Und das disqualifiziert sie als Partnerin für Ihren Sohn?« Julia war auch allein. Oft. Nur heute Abend hatte sie eine Verabredung, fiel ihr ein, vielleicht nicht gerade mit ihrem Traummann. Was sollte sie Bayer denn erzählen? Und diesen blöden Fragebogen hatte sie auch noch nicht ausgefüllt.
    »Jeder normale Mensch hat eine Familie. Sie ist das Wichtigste.« Wieder eine Träne. Die Familie Achenbach war offensichtlich keine sehr fröhliche.
    »Können Sie mir irgendwie helfen, Frau Lux zu finden.« Der Fluchtimpuls war kaum noch zu unterdrücken.
    »Nein, Frau Morgenstern. Ich habe die beiden zuletzt gesehen, als sie in den Urlaub aufbrachen. Seitdem habe ich nichts von ihnen gehört. Nicht mal angerufen hat Ben. Nur eine E-Mail geschickt.«
    »Ach?« Ein Fünkchen Hoffnung.
    »Es gehe ihm gut, und ich solle mir keine Sorgen machen. Aber man macht sich doch immer Sorgen um die Kinder.« Die Augen flehten.
    »Wann war das?«
    »Vorgestern.«
    »Und woher kam die Mail? Hat er geschrieben, wo sie sich aufhalten?«
    »Nein, ich weiß nicht, wohin sie gefahren sind. Und ich weiß nicht, von welchem Computer er sie verschickt hat. Gibt es nicht solche Cafés? Internetcafés?«
    Immerhin gab es ein Lebenszeichen von Rose Lux.
    »Stand auch dabei, wann die beiden wiederkommen?«
    »Nein.« Sie senkte den Kopf und rang ihre Hände.
    »Könnten Sie mir die Mail zu Verfügung stellen?«
    Bentrup eins, Strich, eins.
    Die Achenbach zuckte. Julia sah nach draußen. Über dem Rasen und den Rhododendronbüschen lagen Schatten, die sich minütlich vertieften.
    Sie drückte aufs Display. »Ja?«
    »Conrad ist weg?« Sven.
    »Weg.«
    »Entlassen.«
    »Aus dem Krankenhaus? Spinnen die denn?«
    »Er hat sich selbst entlassen.«
    »Wo ist er?«
    »Weg.«
    Noch ein Vermisster. »Hast du schon bei seiner Mutter angerufen und seiner Ex und …«
    »Hab ich.« Sven schwieg.
    »Entschuldigen Sie, Frau Achenbach, ich muss los.« Julia legte ihre Karte auf den Tisch und deutete darauf, ohne das Telefon vom Ohr zu nehmen. »Wenn du ihn triffst«, sagte es, » gib Bescheid, ja?«
    »Wo sollte ich ihn denn …« Das Freizeichen verschluckte den Rest des Satzes.
    Julia gab der Achenbach die Hand, ein Händedruck wie Papier, und verließ das Zimmer.
    Im Flur drehte Julia sich zu der Frau um. Die stand da, als würde sie nie mehr irgendwo anders hinfinden. Nie mehr, hallte es in Julias Kopf. Nie mehr hatte einen tödlichen Geschmack. Es hatte schon zu viele nie mehr in ihrem Leben gegeben. Niemals mehr würde sie lernen, eines davon zu ertragen.
    »Bringen Sie ihn mir wieder«, sagte sie an der Tür und ihr Gesicht bröckelte.

10
    Ich sah erst nichts. Da war der Regenvorhang zwischen mir und dem Haus. Dann Umrisse, vielleicht. Meiner Erinnerung nach war es kleiner gewesen. Große Häuser mochte ich nicht und weiße schon gar nicht, überhaupt keine, die vorgaben, eine Festung zu sein und keine Heimatstatt boten. Ich überlegte, ob es lohnte, hineinzugehen. Dann stieg ich aus. Honey blieb.
    In Sekunden klebte mir der Regen das Shirt auf die Haut. Das namenlose Rinnsal am Rande des Gartens war zu einem Bach angeschwollen, riss Äste und Unrat mit sich. Ohne Eile überquerte ich die Straße, den Steg zum Grundstück, schob das Pförtchen auf und war mit ein paar Schritten bei der Haustür. Sie öffnete sich unmittelbar, nachdem ich geklingelt hatte, als sei ich erwartet worden. Feuchtigkeit und der Geruch nach gekochten Schweineknochen hingen im Flur.
    Tante Ilona, eine hagere Frau mit geradem Rücken und zu früh gealterten Zügen, sah an mir herab, wie ich dastand und ihre gepflegten Fliesen volltropfte. Nur ihre Augen lächelten ein Sommerregenlächeln. Das hatten sie immer getan, wenn sie mir begegnet war. Ilona hatte mit meiner Mutter so wenig gemein, dass ich stets darangezweifelt hatte, dass die beiden Frauen Schwestern waren. Auch ihrer beiden Leben hätten unterschiedlicher nicht verlaufen können. Während meine Mutter im Kofferraum eines Mercedes am Stacheldraht zwischen den Welten strandete und für Jahre hinter Gefängnismauern verschwunden wäre, wenn ihr Vater nicht eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens und Mitglied der SED gewesen wäre mit einer Reihe von Verbindungen und Protegés, hatte Ilona sich eingerichtet, hatte Säuglinge gewickelt, Kleinkindern Lieder

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