Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi
spezielle Fälle, wie neurologische zum Beispiel, ist sie nicht vorgesehen. Warum haben Sie Rasid Chalid nicht rechtzeitig nach Münster verlegt?«
»Es bestand nicht die Notwendigkeit.«
Alle schwiegen in dem Wissen, wozu die Kopfverletzungen des Jungen geführt hatten.
»Also gut«, räumte er ein. »Vielleicht hätte man ihn sofort nach Münster bringen müssen. Aber später war er nicht mehr transportfähig. Und da wäre es ein Kunstfehler gewesen, ihn zu verlegen. Schon der Transport von der Station zum Hubschrauberlandeplatz wäre zu riskant gewesen.«
Julia dachte an die Ampelkreuzung, auf der notfalls der Hubschrauber landete. Alle Ampeln trugen ein Schild mit der Aufschrift »Bei Dauerrot Flugverkehr«, die sich dem Ortsfremden nicht erschloss. Es war nur ein kurzer Weg vom Krankenhaus bis dorthin, und ihr fiel die Vorstellung schwer, dass es keinen Zeitpunkt für eine Verlegung gegeben haben sollte.
»Das Ergebnis Ihres nicht gemachten Kunstfehlers kennen wir.« Sie konnte nicht mehr an sich halten.
»Wenn ich mich nach Schwester Helga gerichtet hätte, wäre er früher verstorben.« Von dem Berges Stimme schwoll an. An seinem Hals blühten rote Flecken. »Er hätte nicht einmal den nächsten Tag erlebt.«
»Oder er wäre in der Neurochirurgie operiert worden. Genaueres wird die Obduktion ergeben.« Conrad stand auf, holte sich etwas von Svens unsäglichem Kaffee. Er musste ziemlich geladen sein.
Sven hatte die ganze Zeit geschwiegen, nur unentwegt etwas in seinen Rechner getippt.
»Vielleicht sollten Sie sich mehr um die Suche nach dem Mörder kümmern, als mich hier festzuhalten.« Von dem Berge stand auf.
»Wenn jeder seine Arbeit gut gemacht hätte, brauchten wir das nicht«, presste Julia durch die Lippen und fing sich einen strafenden Blick von Conrad ein.
»Was soll das heißen?« Von dem Berge stützte sich auf den Schreibtisch und kam ihrem Gesicht so nah, dass sie die Haare auf der Nase nun hätte zählen können.
»Setzen Sie sich wieder, Herr Von dem Berge«, sagte Conrad.
»Doktor Von dem Berge.«
»Setzen Sie sich wieder, Doktor Von dem Berge.«
Er setzte sich, ohne Julia aus den Augen zu lassen.
»Das heißt«, sagte Sven plötzlich und schwang den Drehstuhl herum,»dass, wie ich soeben einer E-Mail von der Verwaltung entnommen habe, dass Sie die alleinige Verantwortung für die Verlegung von Patienten tragen. Und dass man Ihnen angeraten hat, den Jungen in die Uniklinik nach Münster bringen zu lassen, da die Intensivstation des St.-Vincenz-Hospitals für neurochirurgische Fälle weder ausgerüstet noch vorgesehen ist.«
»Ist das ein Vorwurf?«, fragte Von dem Berge.
»Zunächst ist es eine Information, Herr Doktor.« Sven betonte den »Doktor«.
»Der wir nachgehen und sie im Zusammenhang mit dem Obduktionsergebnis bewerten werden«, fügte Conrad mit der gelassenen Stimme an, die er über das gesamte Gespräch benutzt hatte. Julia ahnte, wie viel Kraft ihn das kosten musste.
Er ging zur Tür und hielt sie auf.»Gehen Sie, Herr Doktor Von dem Berge.«
Schwer irritiert schlich Von dem Berge an Conrad vorbei.
»Und gehen Sie nicht so weit weg«, setzte Conrad nach.
»Ich fahre in Urlaub.«
»Nicht vor dem Obduktionsbefund.«
»Ich werde meinen Anwalt …«
Conrad knallte die Tür knapp hinter ihm zu und sagte »tun Sie das« in den Raum, dann ließ er sich auf den Stuhl fallen und hielt sich den Kopf. »Hat mal jemand ‘ne Tablette?«
In Julias Tasche gab es alles für Notfälle. Sie legte ihm die Packung auf den Tisch.
»Ich bräuchte jetzt eine gegen Brechreiz«, sagte sie.
»Wisst ihr jetzt, warum ihr das machen solltet?« Sven kochte frischen Kaffee und spülte ausnahmsweise die Tassen.
»Weil wir eher kotzen?« Julia wartete auf das Brodeln der Maschine.
»Du hast den Aalglatten doch gesehen.«
»Glatt wie ein Aal, nur im Gesicht eine Flunder.« Julia setzte sich wieder. »Was machen wir weiter mit dem?«
»Werden wir sehen, wenn der Bericht der Rechtsmedizin vorliegt. Wenn er einen Fehler gemacht hat, geht das durch die Gutachtermühle. Was mich noch mehr interessiert ist, was da mit Rasids Onkel war. Können wir den ausfindig machen?« Conrad sah Sven an.
»Schon geschehen.« Er schob Conrad einen Ausdruck hinüber. »Eine Kontenabfrage hab ich auch in die Wege geleitet. Bin gespannt, ob wir einen Blick in die Finanzen von dem Heini tun dürfen. Dauert natürlich.«
Ganz untätig war Sven also nicht gewesen.
»Ich hab noch was für dich,
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