Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi
nicht.«
Es hatte keinen besonderen Grund gegeben. Sie waren am Sonntagnachmittag ein bisschen durch die Gegend gezogen, hatten eine Weile in einer Spielhalle verbracht, eine ganze Menge an Euros verloren, und das Bier war ausgegangen. Der Kiosk hatte geschlossen und ein Kumpel, den sie besuchen wollten, war nicht da gewesen. Sie waren bei diesem Sauwetter durch die ganze Stadt gelatscht und patschnass geworden. Dann war Rasid vorbeigekommen und hatte einen von ihnen, Lammers wusste nicht mehr wen, versehentlich angerempelt. Ein Wort hatte das andere gegeben.
»Ja, und dann ist es eben passiert.«
So einfach war das.
»Wer hat zuerst zugeschlagen?« Für nichts.
»Brunner.«
»Und zuletzt?«
Lammers hob den Kopf. Seine Augen glänzten feucht. Wenn er jetzt anfinge zu heulen, würde Julia ihm eigenhändig eine reinhauen.
»Sie?«
Er sagte nichts.
»Und wer hat meinem Kollegen den Stein an die Stirn geknallt?« Julia hatte keine Ahnung, ob es so zugegangen war, nur konnte sie sich nicht vorstellen, dass Conrad ansonsten eine Gehirnerschütterung davongetragen hätte.
»Das war kein Stein. Es war eine Bierflasche.«
»Wer?«
»Robin.«
»Und Sie haben dabeigestanden und sich das Ganze angesehen.«
Sein Mund verzog sich störrisch. Der junge Mann war ohnehin keine Schönheit und seine Mimik machte es nicht besser.
»Dazu brauche ich nichts zu sagen.«
So viel war ihm offenbar klar. Julia fragte ihn noch einmal, aber er schüttelte nur den Kopf und hielt seinen Blick wieder an der Tischplatte fest. Also gut. Vielleicht überlegte er es sich anders, nach dem Mittagessen.
Im Büro nebenan roch es nach Oregano und Knoblauch, dennoch verspürte Julia wenig Appetit. Dann ist es eben passiert, so einfach war das, zog Spiralen durch ihr Hirn. Sie setzte sich neben Conrad, der schweigsam an seiner Pizza mampfte, während Sven nebenher sein Lieblingsspielzeug bediente. In ihrem Karton fand sie Pizza vegetaria, schnitt sich ein Stück heraus und biss ab. Sie schmeckte nach Pappe. Von draußen flutete Spätsommerhitze herein, tropisch nach Nebel und Regen riechend. Julia legte das Pizzastück weg und berichtete, was sie von Lukas Lammers erfahren hatte.
»Das glaub ich nicht«, sagte Conrad, als sie geendet hatte.
»Was daran glaubst du nicht?« Julia fand Lammers’ Aussage durchaus plausibel und nur zu verständlich, dass er sich selbst nicht belasten wollte. Aber sie waren ja erst am Anfang.
»Ich will das nicht glauben«, konkretisierte Conrad. »Einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.« Er schüttelte den Kopf, langsam nur, aber doch zu heftig, und tastete dann nach dem Verband an der Stirn. Darauf wusste Julia nichts zu sagen und auch Sven schwieg und fragte erst nach einer Weile, ob er Julias Pizza haben dürfe. Eigentlich gab es jede Menge zu tun, die Vernehmungen weiterführen, Berichte schreiben, genetisches Beweismaterial sichern, doch Julia rührte sich nicht von der Stelle und die anderen auch nicht, als habe der Mittag, die Wärme, das Ungeheuerliche des Zufalls sie in eine nicht enden wollende Starre versetzt. Das Motorengeräusch eines LKW drang durchs offene Fenster. Plötzlich klingelte das Telefon. Es klingelte eine ganze Weile und verstummte dann. Dafür stürmte Fels ins Zimmer.
»Geht denn bei euch keiner ran, oder was?« Er blickte von einem zum anderen und hielt bei Julia inne. »Ihr Fall ist erledigt, Frau Morgenstern.«
»Ich weiß. Sie kriegen den Bericht umgehend.« Daran hatte sie gerade überhaupt nicht gedacht, und er wäre ihr sicher erst in der nächsten Woche wieder eingefallen.
»Sie wissen? Woher?« Fels wirkte ehrlich überrascht.
»Ich habe sie gesehen. Steht dann im Bericht.«
»Sie haben Rose Lux …« Fels setzte sich. Mit offenem Mund.
»Ja. Was ist so verwunderlich daran?«
»Lebend?«
Die Zeit hielt kurz inne.
»Ja«, sagte Julia vorsichtig.
»Das ist unwahrscheinlich. Frau Lux ist mindestens seit drei Tagen tot, sagt der Doc.«
Julia sprang auf und ihr schwindelte sofort. »Was?«
»Zwei städtische Arbeiter haben sie vor gut einer Stunde gefunden, als sie einen Schaden an einer Berkelbrücke reparieren wollten.«
»Wer hat sie identifiziert?« Der Satz zischte durch ihre Zähne.
»Bis jetzt noch niemand. Nur ist die Wahrscheinlichkeit groß, wenn man die Leiche aus dem Fluss mit dem Bild von Frau Lux vergleicht.«
»Nach drei Tagen kann man sich schwer irren, noch dazubei einer Wasserleiche«, wandte Julia ein, und der Schwindel legte sich
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