Die Spur des Blutes (German Edition)
verstand, dass er nicht die Macht hatte, sie dazu zu bringen, ihn persönlich zu fürchten, nicht so sehr zumindest, wie er es brauchte. Die einzig wahre Angst, die unter ihrer Haut und tief in ihrer Brust saß, war die, dass er ihrer Familie etwas antun konnte.
Oder anderen Menschen, von denen er annahm, dass sie ihr etwas bedeuteten.
So wie Lori. Und die arme, nichts ahnende Belinda Howard.
Und Burnett.
So tickte sie nämlich, und das hatte Spears verstanden.
Jess drehte sich zu Burnett um. Sie wusste, was das hieß. Spears hatte die Verbindung zwischen ihr und Burnett längst hergestellt. Das war vor zwei Tagen gewesen. Nur um sie beide zu verspotten, hatte er Burnett per SMS gereizt, indem er ihn glauben machte, er würde nicht gut genug auf Jess aufpassen.
Niemand musste Jess beschützen. Spears wollte sie nicht umbringen – zumindest vorerst nicht. Nicht ehe er sie ausreichend gequält hatte. Und er hatte erst begonnen. Der beste Weg, ihre Familie und alle, mit denen Spears sie noch nicht in Verbindung gebracht hatte, zu schützen, war, sich fernzuhalten. Wissen war Macht. Je weniger sie ihm gab, desto besser.
In Burnetts Fall war sich fernhalten keine Option. Der einzige Weg, ihn zu schützen, war, ihn nicht aus den Augen zu lassen.
Ihr professioneller Ruf war bereits befleckt. Was bedeutete da noch eine Sache mehr, über die die Leute reden konnten?
Burnetts Ruf würde das schon aushalten. Sein Leben war Jess viel wichtiger als seine Karriere.
»Was immer Sie sagen, Chief.«
Dunbrooke Drive, Mountain Brook, 20:55 Uhr
Jess hatte viel zu schnell nachgegeben. Dan wusste nicht genau, warum, aber das war ihm egal. Er war nur verdammt froh, dass sie sich ausnahmsweise einmal nicht widersetzt hatte. Er würde sie beschützen, ob es ihr nun gefiel oder nicht. Er konnte sich nicht darauf verlassen, dass sie sich nicht selbst in Gefahr brachte. Der Fall war zu persönlich für sie.
Sie rollte ihren Koffer zu dem Schlafzimmer, das am weitesten von seinem weg lag. Nicht, dass er ihr das übelnehmen konnte nach dem mitternächtlichen Kuss, mit dem er sie überfallen hatte. War das erst vor drei Nächten gewesen? Der letzte Fall, den sie zusammen bearbeitet hatten, und nun dieser hier hatten ihn jedes Gefühl für Zeit verlieren lassen. Jede Minute gab es etwas Neues, Dringendes, das Vorrang vor allem anderen hatte.
Bisher hatte er sich erst zwei Mal bei seiner Stieftochter gemeldet. Das schlechte Gewissen plagte ihn. Das Martyrium, das Andrea überlebt hatte, hatte sie schwer erschüttert, vielleicht mehr, als ihrer Mutter klar war. Er war nicht Andreas Vater, aber er liebte sie, und er brauchte Zeit, um für sie da zu sein. Außerdem musste er dafür sorgen, dass Jess sich mit ihrem neuen Posten anfreundete. Er hatte das Gefühl, dass sie immer noch nicht ganz überzeugt war.
Aber für beides war jetzt keine Zeit … nicht, bevor Wells und Howard gefunden und dieses Monstrum gefasst war.
Jess’ Besorgnis um juristische und ethische Probleme, die es mit sich bringen konnte, wenn sie sein Gast war, hatte für ihn momentan einfach keine Priorität. Egal wie die Konsequenzen aussahen, er würde sich darum kümmern, wenn alles vorbei war.
Er suchte im Kühlschrank nach etwas, das schnell und einfach zuzubereiten war. Abstecher zum Supermarkt gehörten zu den lästigen Pflichten, mit denen er sich schon seit einigen Wochen nicht mehr aufhielt. Vielleicht sollte er Pizza bestellen. Das war zwar keine sonderlich glamouröse Mahlzeit, aber er bezweifelte, dass Jess mehr nach Glamour zumute war als ihm selbst.
Sein Blick erfasste eine große Papiertüte im obersten Kühlschrankfach. Das sollte gehen. Noch ein Grund mehr für ihn, Gewissensbisse zu haben.
Kurzentschlossen packte er die Tüte, die Gina Coleman, Birminghams Topreporterin und eine Freundin, gestern Abend vorbeigebracht hatte, und stellte sie auf den Tresen. Ein Festmahl von
Tazikis’s
. Griechischer Salat, Basmatireis und gegrillte Hühnerbrust. Sein Lieblingsessen. Gina hatte es sichtlich Spaß gemacht, ihm den Inhalt mit sinnlichen Worten und aufreizender Körpersprache zu beschreiben.
Nur weil er schon mit seinen Eltern zum Dinner verabredet war, hatten sie nicht gemeinsam zu Abend gegessen. Was ihm gut passte. Er hatte den Verdacht, dass Gina mehr im Sinn gehabt hatte als Dinner. Ohne Zweifel war sie inzwischen noch saurer, nachdem er heute Nachmittag den Pressesprecher des Departments zu ihr geschickt hatte, statt selbst mit ihr über
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