Die Spur des Boesen
Albinismus, geistiger Beschränktheit... es gibt nichts, was sie nicht hervorgebracht haben.«
»Wie kam's, dass Sie zum Experten auf diesem Gebiet geworden sind?«, fragte Corso.
»Neunzehnhundertdreiundsechzig verlangte der Staat, sie sollten ihre Kinder auf normale öffentliche Schulen schicken. Ich war damals Schüler an der Mahwah High School.« Er bekam einen sehnsüchtigen Blick. »Da war ein Mädchen. Justine de Vries.« Er schüttelte seinen ungepflegten Kopf. »Das exotischste Wesen, das ich je gesehen habe. Ich habe damals sehr viel Zeit in den Bergen verbracht.« Er drehte seine Handflächen nach oben. »Jahre später, als ich ein Thema für meine Dissertation brauchte ...« Er breitete die Arme aus. »Der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt.«
»Wo ist sie jetzt?«, fragte Dougherty.
Rosen machte ein trübsinniges Gesicht. »Immer nochirgendwo da oben, denke ich.« Er schien das Bedürfnis zu verspüren, seine Aussage noch weiter zu erklären. »Ich habe gehört, sie habe einen Kerl namens van Dykan geheiratet. Nach jenem Sommer haben wir uns aus den Augen verloren. Damals war es einfach nicht möglich, wissen Sie, ein Jude aus dem Tiefland und eine Jackson White. Es war nicht... meine Eltern waren liberal und so, aber ich meine...« Er schluckte schwer. »Ich habe sie seit fast dreißig Jahren nicht gesehen«, fuhr er fort und verzog sein Gesicht. »Wahrscheinlich war es so am besten.«
Die folgende Stille wurde schließlich von den Schülern unterbrochen, die von einem Klassenzimmer ins andere wechselten. Rosen sah auf die Uhr an der Wand: halb elf. »Ich habe gleich Unterricht«, sagte er. Er sah aus, als wollte er noch etwas sagen, änderte aber seine Meinung.
Corso und Dougherty schüttelten ihm die Hand und dankten ihm für seine Zeit. Auf dem Weg nach draußen blieb Rosen noch einmal stehen. »Ich war schon zehn Jahre nicht mehr da oben«, meinte er zerstreut. »Seit Arlene gestorben ist... Sie war meine Frau. Sie...«
Sie würden sich die Geschichte von Arlenes Tod anhören müssen und darüber, wie glücklich die beiden gewesen waren. Das spürte Corso. »Wie kommen wir dorthin?«, fragte er.
Rosen dachte nach. Schaute wieder auf die Uhr.
»Sie möchten da hinauf, hm? Dorthin, wo Smithville war?«
Corso nickte. Dougherty ebenfalls.
»Seien Sie um zwölf in meinem Büro«, verlangte Rosen.
17
Von oben hätte man die Straße nicht erkennen können. Eine schwarze Linie, die sich wie zufällig zwischen Eichen, Pinien und Atlaszedern hindurchwand. Die Sonnenstrahlen, die durch das gewölbte Dach aus knorrigen Ästen drangen, sorgten im Ford für einen Stroboskop-Effekt.
Rosen wollte seine eigene Stimme hören, um sich zu beruhigen, während Corso um eine scharfe Kurve nach der anderen bog. »Wir könnten im Laden anfangen. Das ist mehr oder weniger der Mittelpunkt des Ramapo-Universums.«
»Da oben gibt's einen Laden?«, vergewisserte sich Dougherty, die auf dem Rücksitz saß.
Rosen hob die Hände hoch. »Einen Laden und ein Feuerwehrhaus ... eine Kirche, ein Postamt... sogar einen Schnapsladen. Alles, was man zum Leben braucht. Der Laden wurde 1830 als >Van Dynes Textilien< gegründet«, erklärte er. »Die Besitzer haben so oft gewechselt, dass die Einwohner den Eigennamen aufgegeben haben und den Laden nur noch >den Ladern nennen. Wenn jemand sagt, er geht in den Laden, dann geht er dorthin.«
Corso schaltete einen Gang herunter, als die Straße steil nach unten abfiel. Was als zweispurige Asphaltstraße begonnen hatte, war im Lauf von sieben Kilometern zu einem mitgenommenen Ziegenpfad verkümmert, der sich als rissige Asphaltschnur um die Berge wand.
»Ihre Nachfahren sind heute weltoffener. Sie gehen seitdrei Generationen auf öffentliche Schulen. Die Bevölkerungsstruktur ist vielschichtiger geworden. Die Kinder fallen nicht mehr so auf wie früher, weshalb die meisten von ihnen ins Tiefland ziehen.«
»Wo lag Smithville vom Laden aus gesehen?«, fragte Dougherty.
»Weiter nördlich im Staat New York.« Er deutete zum Beifahrerfenster hinaus. »Vielleicht sechzehn Kilometer in diese Richtung, an der Grenze zum Rockland County.« Rosen drehte sich nach hinten zu Dougherty um. »Selbst nach Jackson-Whites-Standards lag Smithville in der Pampa«, fuhr Rosen fort. »Im äußersten Norden der Region. Die Kinder von dort gingen in Mahwah zur Schule. Man hat sich erzählt, dass die ganze Stadt aus einer riesigen Familie bestand. Vielleicht vierzig, fünfzig Leute, und
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