Die Spur Des Feuers
ihrer Meinung unterstützt. Deswegen habe ich auch anfangs gezögert, Silver ihren Namen zu geben, als er mich um Rat gebeten hat.«
Andreas antwortete nicht gleich. »Hätte er Sie zwingen können, den Namen preiszugeben?«
»Keine Ahnung. Ich glaube, Silver ist sich nicht einmal selbst darüber im Klaren, welche Macht er wirklich besitzt. Aber vielleicht will er es auch gar nicht so genau wissen.«
»Meinen Berichten zufolge ist er … bemerkenswert.«
»Und das beschreibt womöglich nur die Spitze des Eisbergs.«
Travis rieb sich die Schläfe. »Keine Sorge. Er wird schon nicht gefühlsduselig werden. Ich bin überzeugt, dass er Kerry Murphy für uns gewinnt.«
»Und zwar am besten möglichst bald«, sagte Andreas.
»Verdammt bald. Ich will nicht schon wieder auf eine Beerdigung gehen.«
»Ich werde ihm von Ihrem Unmut berichten.«
»Als würde ihn das beeindrucken! Er lässt sich offenbar nicht leicht einschüchtern. Halten Sie mich auf dem Laufenden«, sagte er und legte auf.
Feuer!
Mama konnte nicht raus. Sie war verletzt. Sie musste Hilfe holen.
Der Mann auf der anderen Straßenseite.
Hilf meiner Mama. Bitte, hilf meiner Mama.
Sie wusste, dass er ihr nicht helfen würde.
Immer wieder, immer wieder.
Aber sie musste es versuchen. Sie rannte über die Straße.
» Bitte, sie braucht Hilfe. «
Sie schaute in sein Gesicht.
Kein Gesicht. Kein Gesicht. Kein Gesicht.
Sie schrie.
Kerry fuhr schweißgebadet aus dem Schlaf. Ihr Herz klopfte so heftig, dass es wehtat. Alles in Ordnung. Sie stand nicht auf der Straße in Boston. Sie befand sich in Jasons Gästezimmer in Macon.
Nur ein Traum.
Nur? Es war derselbe Traum, der sie seit ihrer Kindheit verfolgte. Aber er war seit Monaten nicht wiedergekommen, daher hatte sie schon gehofft, sie wäre endlich davon befreit.
Wahrscheinlich hatte Charlies Tod den Albtraum wiederkehren lassen.
Aber es spielte keine Rolle, was der Auslöser war. Der Traum war wieder da, und wenn sie wieder einschlief, würde er sie erneut heimsuchen. Das Muster war immer das gleiche. Der Traum kam jedes Mal zurück, sobald sie in Tiefschlaf fiel.
Manchmal ging das tagelang so weiter, bis sie restlos erschöpft war.
Sie konnte nicht einfach im Bett liegen bleiben und riskieren, dass sie einschlief und der Traum sie aufs Neue überfiel.
Sie warf die Decke zurück und stand auf. Sie würde nach unten gehen, ein Glas Milch trinken, sich auf die Veranda setzen, die kühle Nachtluft genießen und sich beruhigen. Und vielleicht, vielleicht würde sie Glück haben und der Traum würde so weit verblassen, dass er sie nicht wieder heimsuchte.
Schön wär’s.
Sie ging ins Bad und wusch sich das Gesicht, dann schlich sie leise nach unten in die Küche. Sie bemühte sich, möglichst kein Geräusch zu machen, denn wenn Jason aufwachte, würde er sie prompt wieder ins Kreuzverhör nehmen, und das war das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte. Sie hatte ihm erzählt, die Albträume, die sie seit ihrer Kindheit gequält hatten, wären Vergangenheit. Ein frommer Wunsch.
Sie nahm sich ein Glas Milch, ging nach draußen und setzte sich auf die Verandastufen. An ihren nackten Beinen fühlte sich das Holz kühl an und es duftete nach Geißblattblüten. Sie holte tief Luft. Das war Normalität. Das war Realität. Die schattenhafte Gestalt in ihrem Traum war nur ein Trugbild ihrer Einbildung.
Aber es war keine Einbildung. Er war irgendwo da draußen. Er hatte das grauenhafte Verbrechen begangen und lief immer noch frei herum, frei, weitere Leben zu zerstören. Ihre Schuld. Ihre Schuld.
Nicht an ihn denken. Sie musste ihr Leben leben. Sie musste aufhören, sich selbst zu bestrafen. Schließlich war sie keine Märtyrerin. Ihre Mutter hätte nicht gewollt, dass sie sich die Schuld gab. Sie hob ihr Glas und trank einen Schluck Milch.
Die Gartenlaube schimmerte weiß im Mondlicht. Sie würde sie morgen früh noch einmal streichen müssen, doch im Moment sah sie richtig gut aus. Laura hatte die Laube wirklich gut hingekriegt – »Darf ich Platz nehmen?«
Sie erstarrte und schaute zu dem Mann hinüber, der ein paar Meter von ihr entfernt im Garten stand.
Brad Silver. Wut stieg in ihr auf. »Nein, dürfen Sie nicht.
Halten Sie sich aus meinem Leben fern.« Ihre Hand umklammerte das Milchglas. »Was zum Teufel haben Sie hier mitten in der Nacht zu suchen? Das ist ein Privatgrundstück.«
»Sie haben mich geweckt.« Er setzte sich neben sie auf die Stufe. »Ihre Schuld. Wenn Sie nicht so
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