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Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Wachsoldaten Ausschau hielt, kam an offenen Ladeneingängen und dem roten Torii-Tor eines shintoistischen Tempels vorüber. Als er eine steinerne Treppe hinunterstieg, ließ er den Blick über die Dächer schweifen und sah, wie Soldaten in eine Töpferei stürmten; weitere Bewaffnete kamen die Straße hinaufgerannt. Einer packte Hirata vorn am Kimono.
    »Hast du den Barbaren gesehen?«, rief er. »Nun rede schon, rônin !«
    »Den Barbaren? Nein, Herr«, sagte Hirata.
    Der Soldat ließ ihn los und wandte sich mit der gleichen Frage an einen anderen Passanten. Hirata setzte seinen Weg fort, froh darüber, dass der Soldat ihn für einen herrenlosen Samurai gehalten hatte. Dort, wo Hiratas Ziel lag, war es genau die richtige Tarnung.
    Der Salz- und Fischgeruch des Meeres wurde stärker, das Kreischen der Möwen lauter. Wachsoldaten patrouillierten am Strand. Der Hafen war von sämtlichen Wasserfahrzeugen verlassen worden; nur die ausländischen Schiffe und die Schaluppen der Hafenpatrouille lagen noch vor Anker. Am Fuß der Hügelhänge drängten sich die Holzhütten der Armen. Netze waren auf strohgedeckten Dächern ausgebreitet; in Türeingängen und auf Balkonen lagen Berge von Seilen und Eimern. Zwischen den Hütten standen winzige Teehäuser. Von den Dachvorsprüngen hingen zerlumpte blaue Vorhänge, welche die Besucher der Teehäuser teilweise vor den Blicken der Fischer und Seeleute schützte, von denen es auf den Straßen nur so wimmelte. Aufs Geratewohl betrat Hirata eines der Teehäuser.
    Zwei Gäste saßen am Rand des erhöhten Fußbodens, beides alte Männer mit faltigen, wettergegerbten Gesichtern. Ihre Augen waren schmal vom jahrzehntelangen Blinzeln in Wind und Sonne, Schnee und Regen. Die beiden Alten hielten Sakeschalen in den knorrigen Händen und beobachteten die Passanten.
    »Guten Tag, Großväter.« Hirata verbeugte sich. »Darf ich mich zu euch setzen?«
    Die beiden Alten betrachteten ihn mit wachem Interesse. Ihre Köpfe hüpften auf den dünnen Hälsen auf und ab, und zustimmende grunzende Laute stiegen aus schmächtigen Brustkörben, als sie zur Seite rückten, um für Hirata Platz zu machen, der sich zwischen die beiden Alten setzte. Der Wirt kam an den Tisch.
    Hirata bestellte eine Runde Sake.
    Wie auf Kommando hoben die Alten ihre Schalen an die Lippen, leerten sie und sagten mit krächzenden Stimmen: »Danke, junger Herr.« Der Wirt füllte den Alten nach und reichte auch Hirata eine Schale Reiswein. Die Männer tranken. Der Alte, der zur Linken Hiratas saß, schaute ihm ins Gesicht. »Kann mich nicht erinnern, Euch schon mal gesehen zu haben.« Er hatte nur noch drei Zähne und besaß die laute Stimme eines Schwerhörigen.
    »Ich bin erst heute in Nagasaki eingetroffen«, sagte Hirata.
    »Hä?« Der Alte legte die Hand hinters Ohr, aus dem borstige Haare sprießten.
    Mit lauter Stimme wiederholte Hirata, was er gesagt hatte, und fügte hinzu: »Vorhin bin ich ein paar Soldaten begegnet, die auf der Suche nach einem verschwundenen Barbaren waren!«
    Der Alte, der rechts von Hirata saß, schnaubte verächtlich. Er war ein dermaßen verkrümmter Greis, dass sein Kinn beinahe die Knie berührte, und die Pfeife, die ihm zwischen den Lippen steckte, zitterte im gleichen Rhythmus wie seine dünnen Glieder. »Sie werden ihn niemals finden.«
    »Wie kommt Ihr darauf?«, fragte Hirata.
    »Lasst Euch eines sagen, junger Fremder.« Der Pfeifenraucher stieß Hirata seinen knochigen Ellbogen in die Seite. »In den Gewässern um die Insel Deshima geschehen eigenartige Dinge.« Er nickte wissend. »Mich wundert’s ganz und gar nicht, dass der Barbar verschwunden ist.«
    »Was für eigenartige Dinge?« Hirata winkte dem Wirt, noch eine Runde Reiswein zu bringen.
    Die Männer tranken. Dann sagte der Pfeifenraucher laut genug, dass auch sein schwerhöriger Freund ihn verstehen konnte: »Hier in der Stadt weiß jeder von den geheimnisvollen Lichterscheinungen, die in manchen Nächten um Deshima herum zu sehen sind. Sie sind blutrot und grün und weiß und machen viel Rauch.« Er beugte sich zu Hirata vor. »Sie schweben übers Wasser zur Insel, diese Lichter, und dabei gehen sie an und aus, an und aus.« Er öffnete und schloss die knochigen Fäuste, um seine Worte zu verdeutlichen, und vollführte dabei langsame, schlängelnde Bewegungen mit den Unterarmen. »Und dann verschwinden sie.«
    »Was sind diese Lichter?«, fragte Hirata interessiert.
    »Geister.« Der Pfeifenraucher stieß eine Wolke Tabakrauch

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