Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Staatskanzlei - Kriminalroman

Die Staatskanzlei - Kriminalroman

Titel: Die Staatskanzlei - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
Vom Netzwerk:
Hamburg zurück. Mein Zug geht in vierzig Minuten. Es wartet Arbeit auf mich. Der Direktor weiß Bescheid.“
    „Und was sagt er zu Ihren Erkenntnissen?“
    „Nichts, weil ich bislang nicht mit ihm gesprochen habe. Sie leiten doch die Ermittlungen, oder?“ Ein spöttischer Blick traf sie. Dann ging er um den Schreibtisch herum und gab ihr zum Abschied die Hand, ein kräftiger, zupackender Händedruck. Und plötzlich tat er etwas, das sie überraschte. Er nahm sie in den Arm, drückte sie. Die Umarmung tat Verena gut. Wann war sie zum letzten Mal von einem Mann umarmt worden? Das musste in einem anderen Leben gewesen sein.
    Als er gegangen war, versuchte Verena ihre Gedanken zu ordnen. Kein einziger Fall aus den letzten Jahren war ihr geläufig, der sie vor solche Herausforderungen gestellt hätte. Sie brauchte jetzt das Gespräch mit Stollmann. Vielleicht konnte er dabei helfen, Ordnung in ihr Gedankenchaos zu bringen.

57
    Als seine Sachbearbeiterin für Haushaltsfragen sein Büro betrat, ahnte Wagner, was auf ihn zukommen würde. Es war Anfang Dezember und in zwei Wochen stand der Abschluss des Haushaltsjahres an. Nach einem kurzen „Hallo, ich muss Sie sprechen“ nahm sie unaufgefordert ihm gegenüber Platz.
    Wagner schaute von der Presseerklärung auf seinem Schreibtisch hoch. „Ich ahne es schon. Jedes Jahr dasselbe Theater. Wie viel ist es dieses Mal?“
    Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. „10 998,30 Euro. Den hohen Betrag können wir unmöglich zurückgeben. Auf der letzten Sitzung des Haushaltsausschusses des Landtags hat der Vorsitzende bereits eine Mittelkürzung für unseren Etat gefordert. Und Sie wissen um seinen Einfluss auf die Finanzministerin.“
    „Ich bin Regierungssprecher und laufe nicht blind und taub durch die Gegend. Allerdings frage ich mich, was so schlimm daran ist, wenn wir das Geld an den Landeshaushalt zurückführen und unser Etat gekürzt wird. Wir haben doch ohnehin jedes Jahr im Dezember zu viel in der Kasse.“
    Die Kinnlade seiner Mitarbeiterin fiel herunter. Aus weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn entsetzt an. „Das können wir doch nicht machen! NIEMAND, ich wiederhole NIEMAND, der seine fünf Sinne noch beieinander hat und etwas von Haushaltsfragen versteht, gibt am Jahresende Geld zurück, schon gar nicht in dieser Größenordnung. Meine Kollegen würden glauben, dass ich überfordert bin. Das kann ich auf keinen Fall zulassen.“
    Eine verrückte Welt, dachte Wagner. Tagaus, tagein sangen die Politiker das hohe Lied vom Sparzwang und schufen gleichzeitig Strukturen, die das Gegenteil bewirkten. Besser, es hinter sich zu bringen.
    „Was schlagen Sie vor?“
    Seine Mitarbeiterin reichte ihm ein Blatt Papier über den Tisch. „Ich habe eine Aufstellung mit Werbemitteln mitgebracht, die wir noch heute bestellen können: tausend T-Shirts mit dem Aufdruck links oben ‚Niedersachsen – das Land mit Herz‘, tausend USB-Sticks mit dem Aufdruck ‚Niedersachsen – das Land der unbegrenzten Kapazitäten‘ und außerdem tausend Rucksäcke.“
    Vermutlich mit dem Aufdruck „Niedersachsen – das Land der Säcke“, ätzte Wagner im Stillen.
    „Aufdruck?“, fragte er.
    „Das Landeswappen, das kommt immer gut an“, versicherte seine Mitarbeiterin.
    „Finde ich alles ziemlich einfallslos. Habt Ihr nichts Besseres auf Lager?“
    Erneut fiel der Kinnladen herunter. Dieses Mal war der Blick empört. „Wieso denn das? Die Mitarbeiter vom Referat für Kreatives und Innovation haben sich das ausgedacht. Und viel Zeit bleibt uns nicht mehr. Wir können auf diese Weise fast 9000 Euro ausgeben. Die Mehrwertsteuer kommt ja auch noch dazu.“
    Letzteres sagte sie, als ob es sich bei der Mehrwertsteuer um ein Geschenk des Himmels handelte.
    9000 Euro? War das nicht der Betrag gewesen, um den sich der Sozialminister ein heftiges Gefecht mit der Finanzministerin geliefert hatte? Jetzt fiel es Wagner wieder ein. Um diesen Betrag war das Landesblindengeld gekürzt worden.
    Seine Sekretärin steckte ihren heute graublonden Perückenkopf durch die Tür. „Sie sollen sofort zum Chef kommen.“
    Während Wagner sein Jackett anzog, wollte seine Mitarbeiterin wissen, was Sache sei. Der Regierungssprecher verspürte große Lust, dem Unfug der Haushälter ein Ende zu bereiten. Als er in das erwartungsvolle Gesicht seiner Mitarbeiterin sah, willigte er schließlich ein. Den Ministerpräsidenten trieben zwei Fragen um: Sollte er sich entgegen des Rates seines Ministers mit

Weitere Kostenlose Bücher