Die Staatskanzlei - Kriminalroman
Struktur. Als sie fertig war, schwieg Ritter eine Weile nachdenklich. „Klingt einleuchtend. Allzu schwierig dürfte es nicht sein, herauszufinden, ob Gesine Terberg an Schizophrenie leidet“, meinte er dann.
Verena war skeptisch. „Wir haben es in der Staatskanzlei mit einem Kartell des Schweigens zu tun. Man schätzt das Spiel mit offenen Karten dort nicht.“
„In der Tat, kein leichtes Umfeld“, bestätigte Ritter. „Wenn wir sie zu hart ins Visier nehmen, hagelt es Beschwerden. Gehen wir zu lasch vor, ist es auch falsch. Der Innenminister hat mich übrigens vor einer halben Stunde angerufen. Er will Ergebnisse. Na ja, es gehört wohl zu seinem Job, Druck zu machen“, stellte er lakonisch fest. „Und was diese Frau Terberg betrifft, es gibt ja auch noch Krankenkassen und Ärzte.“
Mit Blick auf seine Armbanduhr fügte er hinzu: „Zeit, essen zu gehen. Wie sieht es aus, wollen Sie mich begleiten?“ Eigentlich hatte Verena sich heute die ewig schlecht gelaunte Kantinenwirtin ersparen wollen. „Gerne, ich glaube es gibt Rinderroulade“, strahlte sie den Direktor an.
„Mm, eigentlich hatte ich nicht an die Kantine gedacht, eher an den Italiener im Sprengel Museum.“
Ihr Herz machte einen Sprung. „Die Salate dort sind große Klasse“, sagte sie und dachte an etwas ganz anderes.
Während sie nach ihrer Handtasche griff, verfluchte sie die Tatsache, dass sie auch heute aus Zeitgründen wieder auf Make-up verzichtet hatte. Ihr Verstand sagte ihr, dass die Einladung zum Mittagessen kein weltbewegendes Ereignis war. Es musste keineswegs heißen, dass er mit ihr anbandeln wollte. Ihr Gefühl wünschte sich etwas anderes. Während sie neben ihm her zum Fahrstuhl ging, machten sich ihre Gedanken selbstständig. Sie kreisten nicht um den Mordfall. Fand er sie attraktiv, wollte er sie näher kennenlernen?
Auf dem Parkplatz kam ihnen Stollmann entgegen. Er taucht immer dann auf, wenn man ihn am wenigsten gebrauchen kann, ärgerte sich Verena. Ihr Kollege grinste breit und wünschte guten Appetit. „Ich möchte mich nur über den neuesten Stand der Ermittlungen unterrichten lassen“, erklärte Ritter ungefragt. Natürlich, dachte Verena, was auch sonst?
59
Seit dem ersten Mord waren fast drei Wochen vergangen. Das Medieninteresse ließ allmählich nach und auch die Lage in der Staatskanzlei beruhigte sich. Niemanns Stelle sollte vorerst nicht neu besetzt werden. Eine bundesweite Ausschreibung war angedacht. Nicht sofort, sondern in einigen Wochen, wenn die Wogen sich geglättet hatten und der Mörder hoffentlich hinter Schloss und Riegel saß. Nicht nur Wagner fragte sich, ob es jemals dazu kommen würde.
Der Regierungschef war ungewohnt gereizt und die Zusammenarbeit mit ihm in diesen Tagen alles andere als ein Zuckerschlecken. Wagner hatte sich einen herben Rüffel eingefangen, weil Frau Bill sich geweigert hatte, den Ministerpräsidenten so kurzfristig in ihre Talkshow einzuladen. Sie hatte auf ihre journalistische Unabhängigkeit gepocht. Sätze wie „Wir sind nicht die PR-Abteilung der Regierung“ und „Wer in meine Show kommt, bestimme immer noch ich“ waren gefallen. Der Pressesprecher hatte alles versucht, um die widerborstige Dame zu überzeugen, hatte seinen ganzen Charme aufgeboten, humorvolle Geistesblitze zum Besten gegeben und war doch auf Granit gestoßen.
Dass zumindest der Auftritt in der Freitagabendtalkshow noch zustande gekommen war, hatte den Chef nur vorübergehend milde gestimmt. Noch tagelang hatte sich Wagner Lästereien über bockbeinige Journalistinnen, böswillige Sendeanstalten und einen Pressesprecher, der zu wenig Engagement zeige, anhören müssen.
Zur schlechten Laune seines Chefs trug bei, dass Britta König bislang vergeblich hinter Boris Milner her telefonierte. Der Kerl war wie Wackelpudding. Immer wenn sie ihn endlich zu fassen glaubte, war er mit unbekanntem Ziel verreist. Der Ministerpräsident tobte, verwünschte den Fall der Mauer und fabulierte über die gute alte Zeit, als das schöne Niedersachsen noch den Niedersachsen gehörte und man sich nicht mit unseriösen Geschäftemachern aus den ehemaligen GUS-Staaten herumbalgen musste.
Über Niemann und Heise sprach er nur noch lobend. Wagner fand den Gedanken beruhigend, dass es ihm nicht anders ergehen würde. Dann wieder dachte er, besser Schimpftiraden und lebendig als Lobpreisungen und tot.
Irgendwann platzte dem Ministerpräsidenten der Kragen und er bestand gegenüber dem Innenminister darauf,
Weitere Kostenlose Bücher