Die Staatskanzlei - Kriminalroman
dem russischen Großinvestor treffen? Wohl war ihm nicht bei dem Gedanken, dass ein ehemaliger KGB-Offizier sich in der niedersächsischen Wirtschaft tummelte. Und sollte er auf den von Albi vorgeschlagenen Deal eingehen? Natürlich hatte der alte Haudegen recht und das persönliche Ranking des Spitzenkandidaten entschied über den Wahlausgang. Nur die Regierung hatte gut dotierte Jobs für die eigenen Leute zu vergeben. Und der Hunger nach lukrativen Jobs in seiner Partei war riesig. Niemand wusste das besser als er. Geheuer war ihm Albis Vorschlag dennoch nicht. Sponsorengelder auf dem Nummernkonto eines unseriösen Geschäftsmanns verschwinden zu lassen, war in seinen Augen unseriös.
In Situationen wie diesen wollte der Chef jemanden um sich haben, der seine Gedankengänge mit ihm teilte und ihn auf mögliche Stolpersteine aufmerksam machte. Kurzum, er brauchte einen geduldigen, verständnisvollen und aufmerksamen Zuhörer. Wagner beherrschte diese Aufgaben geradezu perfekt. Dennoch war es jedes Mal ein emotionales Vabanque-Spiel für den Pressesprecher, wusste man doch nie, wie der Chef auf seine Hinweise reagierte: aufbrausend oder dankbar.
„Schicken Sie doch den Wirtschaftsminister vor, soll der doch mit diesem Milner sprechen“, schlug Wagner vor. Dieses Mal hatte er danebengegriffen.
„Sind Sie bescheuert? Unser Koalitionspartner redet doch gleich wieder eine Koalitionskrise herbei. Auf keinen Fall.“
Ungemütliches Schweigen breitete sich aus. Der Chef musterte ihn nachdenklich. Sein Mann für sensible Fälle dieser Art, Ministerialdirigent Niemann, lag tot auf dem Obduktionstisch der MHH und Wagner befürchtete, mit der überaus heiklen Mission beauftragt zu werden. Es kam, wie es kommen musste.
„Das kann nur einer meiner eigenen Leute machen.“
Wagner formulierte in Gedanken Ausflüchte, um den Auftrag, der in wenigen Sekunden auf ihn zukommen würde, jemandem anderen aufs Auge zu drücken.
„Ich werde Britta König bitten, mit ihm zu sprechen. Blitzgescheite Frau, genau die Richtige, um diesem Russen auf den Zahn zu fühlen“, stellte der Chef fest.
„Sehr gute Idee“, beeilte sich Wagner zu sagen, bemüht, sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen.
„Hätten Sie auch draufkommen können“, knurrte sein Gegenüber. „Manchmal frage ich mich, weshalb ich alles allein machen muss. Etwas mehr Einfallsreichtum täte Ihnen gut, Wagner. Und was machen wir nun mit unserem Konsul und den bunten Fotoberichten in Hochglanzmagazinen?“
„Ich würde die Finger davon lassen, Chef. Wie Sie bereits sagten, eine mehr als windige Angelegenheit, vermutlich sogar kriminell.“
„Kriminell? Sie übertreiben maßlos, Wagner.“
Sie selbst haben doch Andeutungen in diese Richtung gemacht, hätte Wagner erwidern können. Er ließ es bleiben. Nichts verabscheute der Chef mehr als Rechthaberei. Diese Eigenschaft akzeptierte er ausschließlich bei sich selbst.
„Aber vielleicht haben Sie sogar recht. Vielleicht ist es besser, auf diesen aufgeblasenen Konsul mit seiner Gräfin und dem ganzen Münchener Schickeriagedöns zu verzichten. Wir sollten uns etwas anderes einfallen lassen. Wie sagte Konsul von Holzhausen? Mitgefühl erzeugt Sympathie. Die Leute draußen im Land leiden mit uns mit, Wagner. Immerhin habe ich zwei meiner engsten Weggefährten durch grausame Morde verloren. Es ist nur recht und billig, wenn wir die widrigen Umstände für uns nutzen. Sorgen Sie für Fototermine, Wagner, und für Auftritte in Talkshows. Das kann unter den gegebenen Umständen wohl nicht so schwer sein. Zwei Morde in neun Tagen in meiner Staatskanzlei, das empfinden selbst hartgesottene Bürger als Supergau. Das werden Sie doch wohl hinbekommen? Wofür bezahle ich Sie, wenn nicht dafür?“
Wagner verkniff sich den Hinweis, dass für sein Gehalt nicht der Ministerpräsident, sondern die Steuerzahler aufkamen. Stattdessen brachte er einen berechtigten Einwand vor. „Aber Chef, bislang haben Sie sich strikt geweigert, Kommentare zu den Mordfällen vor der Kamera abzugeben. Die Anfrage der Redaktion vom Sonntagabendtalk musste ich absagen und …“
„Was soll das werden, Wagner? Wollen Sie mir einen Vortrag halten? Nehmen Sie lieber Ihre Beine untern Arm und hängen Sie sich ans Telefon. Reden Sie mit Frau Bill. Ich will Sonntagabend bei ihr auftreten. Und mit Detlev Strauch setzen Sie sich auch in Verbindung, ich will bei seiner Talkrunde dabei sein.“
„Die habe ich gerade gestern erst abgesagt.
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