Die Staatskanzlei - Kriminalroman
einzuladen pflegte, fand in diesem Jahr zu zweit statt. Drei Führungskräfte waren roher Gewalt zum Opfer gefallen, der Leiter der Abteilung für Internationales war seit Monaten krank und der Staatssekretär bereits in den Weihnachtsurlaub aufgebrochen.
Bernd Wagner sah sich bemüßigt, seine Kollegin zu verteidigen. „Er sieht gut aus, vorausgesetzt man steht auf den Typ Mann, der Kraft und Brutalität ausstrahlt. Und fürs Geistige brauchte sie niemanden. Da hatte sie ihren Job.“
Der Ministerpräsident seufzte. „Sei es drum, ändern können wir es ohnehin nicht mehr. Schlimm nur, dass ich schon wieder eine kompetente Mitarbeiterin verloren habe. Frau König wird nicht wieder arbeiten können. Sie ist heute Nacht aus dem Koma erwacht. Sprechen kann sie nicht, wie es aussieht, dauert es Monate, vermutlich sogar Jahre, bis ihr Sprachvermögen zurückkommt. Der Chefarzt war ziemlich pessimistisch. Sie tut mir unendlich leid, Wagner. Und alles wegen ein bisschen Sex.“
Das macht ihn so sympathisch, dachte Wagner. Hinter der Fassade des Machtpolitikers verbirgt sich eine menschliche Seite, die er sich allen Widrigkeiten zum Trotz bewahrt hat.
Der blasierte Oberkellner wurde herbeigewinkt. Mit hoheitsvoller Miene nahm er die Bestellung entgegen. Ente mit Rotkraut und Klößen, dazu ein Trollinger.
„Sie ist nicht die Einzige meiner Leute mit Doppelleben“, stellte der Ministerpräsident fest, nachdem der Kellner sich entfernt hatte. Seine Stimme klang düster. „Heise hat mich auch getäuscht. Er hat sich von Unternehmen bezahlen lassen, die mich auf ihren Veranstaltungen haben wollten. Er hat mich verhökert wie ein Marktweib seine Ware. Und Sie, Wagner, wussten davon und haben nichts gesagt. Sie enttäuschen mich, haben Sie etwa weitere Heimlichkeiten vor mir?“
Wagner schluckte, schaute sich suchend um. Wann kam endlich der Wein? Besser, er brachte es hinter sich. „Es gibt da etwas. Es geht um Hans Baumgart. Hollmann deutete an, dass er einer ganz heißen Sache auf der Spur ist, was, wollte er mir nicht sagen. Es scheint sich um eine höchst brisante Angelegenheit zu handeln.“
Der Oberkellner erschien mit dem Rotwein, ließ den Ministerpräsidenten probieren und schenkte die Gläser halb voll. Nachdem er sich wieder entfernt hatte, hob der Ministerpräsident das Glas und prostete Wagner zu. „Hinter uns liegt ein böses Jahr, zwei meiner engsten Mitarbeiter erschossen, die dritte von einem liebestollen Proleten niedergeschlagen und der Doppelmörder noch immer auf freiem Fuß. Dazu Ärger in der Partei, Stress mit dem Koalitionspartner und miese Umfragewerte. Und nun kommen Sie mit einer brisanten Sache, die unseren größten Sponsor betrifft. Haben Sie nichts Erfreuliches auf Lager?“
Wagner erhob ebenfalls sein Glas. „Vielleicht sind es ja nur Vermutungen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Hollmann sich in eine Sache verbeißt und am Ende kapitulieren muss.“
„Hoffen wir, dass es so ist. Die Partei ist auf Baumgart angewiesen. Ihre Finanzlage ist katastrophal. Trinken wir darauf, dass das nächste Jahr besser wird.“
Wagner nahm einen großen Schluck. Und dass wir es erleben, hätte er gerne hinzugefügt. „Gibt es Neuigkeiten von der Polizei, Chef?“
Der Ministerpräsident verzog seinen Mund. „Leider nein, Hirschmann ist krank und die Frau, wie heißt sie gleich …?“
„Verena Hauser.“
„Ja die, sie ist gnadenlos überfordert. Apropos Neuigkeiten, Sie sollen es als Erster hören. Ich werde nächstes Jahr bei den Landtagswahlen nicht mehr antreten.“
Wagner, der sich gerade einen zweiten Schluck Rotwein gegönnt hatte, verschluckte sich, hustete und stellte das Glas beiseite. „Aber Chef, das können Sie uns nicht antun! Das mit Ihrem Image wird schon wieder. Im Ranking haben Sie sich letzte Woche sogar um einen Platz verbessert. Sie sind der bekannteste Politiker der Bürgerpartei in Niedersachsen. Niemand sonst in der Partei hat die Gabe wie Sie, stets die richtigen Worte und den richtigen Tonfall zu finden. Albi füllt Bierzelte und Schützensäle. Aber wenn es um Inhalte geht, dann ist er überfordert. Sie haben das richtige Gespür entwickelt, zwischen Bierzelt und Fabrikhalle zu unterscheiden. Keine Frage, Albi ist gut fürs Herz der Partei, aber Sie sind ihr Kopf. Die Parteibasis wird schockiert sein.“
„Das interessiert mich nicht die Bohne. Seit neun Jahren hole ich für die die Kohlen aus dem Feuer, und was ist der Dank? Stänkern, meckern und
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