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Die Staatskanzlei - Kriminalroman

Die Staatskanzlei - Kriminalroman

Titel: Die Staatskanzlei - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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Büro vorbei. Die Tüte mit den Jeans und dem Pullover lag verloren unter ihrem Schreibtisch. Sie hatte zwei Tage gehungert, um in dem eng geschnittenen Kleid nicht wie eine gepresste Wurst auszusehen, und was hatte es gebracht? Nichts außer Frust. Sie hatte sich den Abend anders ausgemalt, ganz anders. Das Ende am liebsten bei sich zu Hause. Sogar frische Bettwäsche hatte sie am Morgen aufgezogen.
    Sie sammelte ihre Klamotten ein und nahm die Akte der Polizeidienststelle Laatzen an sich. Die Lektüre der Unterlage war überfällig, statt des neu begonnenen Krimis würde die Akte als Gute-Nacht-Lektüre herhalten müssen. Eine Akte im Bett! Großartig, was das Leben derzeit für sie bereithielt.
    In ihrer Wohnung angekommen, führte ihr erster Gang sie zum Telefon. Es war noch nicht einmal zehn Uhr und ihre Mutter würde noch wach sein. Sie musste jetzt mit jemandem reden. Ihre Seele lechzte nach Zuwendung. Von ihrer Mutter bekam sie sie nicht, die wirkte verwirrt und ging auf ihre Tochter nicht ein.
    Hinterher fühlte sie sich noch schlechter. Ihr war sehr wohl bewusst, dass ihre Mutter Mitgefühl verdiente, doch auch sie selbst hatte an diesem Abend Anteilnahme nötig. Alle Welt erwartete Engagement und Verständnis von ihr. Die schnippische Ärztin, der unduldsame Minister, die hochnäsigen Beamten in der Staatskanzlei. Wie es ihr dabei ging, interessierte keine Sau. Damit hätte sie noch umgehen können, wenn wenigstens
er
sich für sie interessierte. Aber ihm war der übellaunige Kollege wichtiger gewesen.
    Eine neue Flasche Rotwein musste dran glauben. Während sie den Wein schlürfte, dachte sie über ihr Leben nach. Du hast es vermasselt, sagte sie sich. Dein Leben ist eine einzige Ansammlung von Fehlentscheidungen. Anstatt auf die nette Beraterin vom Arbeitsamt zu hören und Steuerfachgehilfin zu werden, weil die immer gebraucht werden und gut verdienen, bist du auf die Polizeiakademie gegangen. Als du den Abschluss in der Tasche hattest, hättest du einen Job im Ministerium haben können. Dann würdest du jetzt eine ruhige Kugel schieben, hättest jeden Tag pünktlich Feierabend und müsstest dich nicht mit Gewalttätern und Mördern herumschlagen. Ganz zu schweigen davon, dass du die verdammten Staatskanzleimorde nicht an der Backe hättest. Aber du wolltest ja unbedingt in den Polizeidienst.
    Wenn sie wenigstens bei Erwin geblieben wäre, ein wenig langweilig zwar, aber zuverlässig und solide. Beamter wie sie. Spätestens mit 35, als ihre biologische Uhr unaufhaltsam tickte und sie Franz mit ihrem Kinderwunsch konfrontiert hatte, hätten ihre Alarmglocken Sturm läuten und sie ihn verlassen müssen. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen und sie heute glücklich verheiratet.
    Die kalten Augen, mit denen Franz sie gemustert hatte, würde sie niemals vergessen. Seine Worte auch nicht. „Dann musst du dir einen anderen suchen: Ich will mein Leben nicht für ein Kind aufgeben. Ich will Herr meiner Zeit und vor allem meiner Freizeit bleiben.“
    Dreimal hintereinander ich. Und wo blieb sie? Sie hatte die ganze Nacht wach gelegen und gegrübelt. Trotz der Kränkung war sie geblieben. Weniger aus Liebe als aus Bequemlichkeit und wegen des großzügigen Lebensstils, an den sie sich gewöhnt hatte.
    Drei Jahre später war er es, der vollendete Tatsachen geschaffen hatte. Für Verena gab es in seinem Leben keinen Platz mehr. Mit der Stimme, die er sonst für zahlungskräftige, aber begriffsstutzige Mandanten reserviert hatte, teilte er ihr mit, dass er sich in Imka verliebt hatte. Von der Kategorie Lebenspartnerin und Geliebte war sie über Nacht in die Schublade „lästige Fälle“ gerutscht.
    Als der Klingelton ihres Handys sie aus ihren Gedanken riss, galt ihr erster Gedanke Ritter. Er hatte ihr plötzliches Verschwinden bemerkt und rief sie an. Ihre Mailbox. Dagmar bat um ihren Rückruf.

70
    „Ich bin der Letzte, der seinen Mitarbeitern Wasser statt Wein predigt und alles andere als ein Freund sexueller Enthaltsamkeit. Und natürlich lebe ich nicht auf dem Mond und weiß seit Längerem von dem munteren Liebesleben meiner Mitarbeiterin. Aber ein Verhältnis mit so einem, also ich versteh das nicht.“ Die Art, wie der Ministerpräsident das „so einem“ betonte, sagte mehr als tausend Worte.
    Die beiden saßen einander in einer Nische eines Feinschmeckerrestaurants in Burgwedel, unweit der Landeshauptstadt, gegenüber. Das jährliche Weihnachtsessen, zu dem der Ministerpräsident den engsten Stab

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