Die Staatskanzlei - Kriminalroman
erreichbar sein. Er genießt solche Phasen und will dann für niemanden zu sprechen sein.“
Wagners Mitarbeiterin sollte recht behalten, am anderen Ende meldete sich nur die Mailbox. Verena notierte sich die Nummer auf einen Zettel. Sie hinterließ eine Nachricht für ihn. Dann wandte sie sich erneut der Sekretärin zu. „Herr Wagner ist in Gefahr. Sagen Sie ihm, dass er sich sofort bei mir melden soll, wenn er zurückkommt.“ Die rote Perücke rutschte bedenklich zur linken Seite, als Wagners Mitarbeiterin sich die Haare raufte. „Um Himmels Willen: Unser Chef in Gefahr? Glauben Sie etwa, dass der Beamtenkiller hinter ihm her ist?“
„Ich kann es nicht ausschließen. Es geht um eine zurückliegende Strafversetzung, in die neben Heise und Niemann auch Herr Wagner involviert war. Deshalb ist es wichtig, dass wir ihn so schnell wie möglich finden. Dass er ins Büro zurückkommt, ist sicher?“
„Eine Strafversetzung? Davon weiß ich nichts. Worum geht es denn genau?
„Später. Beantworten Sie meine Frage.“
„Ich kann es nicht sagen. Im Moment ist bei ihm gar nichts sicher. Seit drei Tagen ist er wie verwandelt, checkt alle paar Minuten sein Handy, ob SMS eingegangen sind, führt säuselnde Gespräche und grinst einfältig vor sich hin. So habe ich ihn noch nie erlebt. Gestern Nachmittag musste ich 25 rote Rosen bestellen für eine Monika … Äh, den Nachnamen habe ich vergessen. Es scheint ihn schwer erwischt zu haben. Hoffentlich dieses Mal was Dauerhaftes. Wenn Sie mich fragen, wird es Zeit, dass er sich bindet. Mit Mitte dreißig ….“
Verena ging dazwischen. Das Liebesleben des Pressesprechers interessierte sie nicht. „Kann es sein, dass er sich mit dieser Monika verabredet hat oder zu ihr gefahren ist?“
„Nee, die hat angerufen, kurz bevor er gegangen ist. Ich habe nur mitbekommen, wie er gesagt hat: ‚Okay, dann nach Weihnachten.‘ Er hat dabei ein Gesicht gezogen wie ein Bernhardiner, dem man den Fressnapf wegnimmt. Eigentlich wollte er noch einmal hereinkommen und seinen Schreibtisch aufräumen, bevor er in den Weihnachtsurlaub geht. Im Moment gebe ich allerdings nicht viel auf seine Worte. Er ist ziemlich durch den Wind.“
„Hoffen wir, dass er sich meldet, telefonisch oder persönlich.“
Die Sekretärin nickte. „Ich bleibe, bis er sich meldet, selbst auf die Gefahr hin, dass ich bis morgen früh warten muss. Ich habe einundsechzig Weihnachtsfeste erlebt und so Gott will werde ich noch oft Weihnachten feiern können. Aber einen so netten Chef, den bekomme ich nie wieder. Sie können sich auf mich verlassen.“
77
Monikas Absage versetzte Wagner einen Stich. Es wäre ihr letztes Treffen für fünf Tage gewesen. Morgen würden beide zu ihren Eltern fahren, er nach Wilhelmshaven, sie nach Goslar. Jetzt fragte er sich, wie er es fünf Tage ohne sie aushalten sollte. Bereits bei ihrer zweiten Verabredung waren sie sich näher gekommen. Monikas Wohnung in der Südstadt war winzig und nicht besonders geschmackvoll. Viel hatte er allerdings nicht mitbekommen. Nur ihr breites Bett mit der geblümten Bettwäsche war ihm gegenwärtig.
Für ihn gab es nicht den geringsten Zweifel, dass er mit Monika die Frau fürs Leben gefunden hatte. Eskapaden wie letzte Woche gehörten der Vergangenheit an, er würde eine Familie gründen.
Sie hatten noch nicht darüber gesprochen, dazu war alles noch zu frisch. Wenn es nach ihm ging, würden sie Kinder haben. Dem Chef würde das gefallen, betonte er doch bei jeder Gelegenheit, dass das Bildungsbürgertum mehr Kinder brauchte. Als strikter Verfechter einer konservativen Familienpolitik hielt er nichts von gleichgeschlechtlichen Ehen und Patchwork-Familien. Und in Wagners Alter hatte man nicht mehr „herumzustromern“, sondern eine Familie zu gründen. „Herumstromern kann man später immer noch, man muss nur aufpassen, dass die Frau nichts mitbekommt“, hatte der Ministerpräsident augenzwinkernd hinzugefügt.
Diesbezüglich könnte man von ihm einiges lernen. Für Wagner kam das nicht infrage, eine Spitzenfrau wie Monika betrügt man nicht. Im Kaufhaus an der Leine lief ihm sein Freund Max Hollmann über den Weg. Er irrte seit Stunden durch die Kaufhäuser, gestand er Wagner. Was sollte er seinen Eltern bloß schenken? „Die haben doch schon alles und überhaupt, Leute über siebzig haben keine Hummeln mehr im Bauch“, klagte er seinem Freund sein Leid.
Wagner riet zu Nachtwäsche. Damit hatte er gute Erfahrungen gemacht. Jeder Mensch
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