Die Staatskanzlei - Kriminalroman
vor allem Hirschmanns insistierenden Fragen geschuldet war. Der Mann weiß wirklich nichts, beschloss Verena nach einer Weile und beendete schließlich das Gespräch.
„Und, sagt der Kerl die Wahrheit?“, wollte der ältere der beiden Verfassungsschutzbeamten wissen, nachdem Ali Hamad gegangen war.
„Ich habe nicht den Eindruck, dass er uns etwas verschweigt oder lügt“, meinte der andere. „Die Vernehmung hat mich darin bestärkt, dass kein staatsfeindlicher Hintergrund vorliegt. Ich war von Anfang an skeptisch. In eine Wohnung einzudringen und einen Beamten kaltzumachen, das ist nicht ihre Handschrift. Der Fall ist Ihrer“, stellte er an die LKA-Beamten gerichtet fest.
Hirschmann seufzte hörbar. Seiner Miene war abzulesen, was er von den Ansichten seines Kollegen hielt. Kaum hatten sich die beiden Beamten verabschiedet, verschaffte er sich Luft. „Das sieht den Bleistiftanspitzern vom Verfassungsschutz ähnlich, treten den Rückzug an, bevor die Beute erlegt ist. Falls sich später herausstellt, dass sie sich geirrt haben, kommen sie wie die Ratten aus ihren Löchern hervorgekrochen, um sie sich zu schnappen. Aber ohne mich, dieses Mal lass ich mir nicht die Butter vom Brot nehmen.“
Verena konnte sich an keinen einzigen Fall erinnern, bei dem ihr Kollege sich die Butter hatte vom Brot nehmen lassen. Im Gegenteil, wenn es darum ging, Lorbeeren zu ernten, war er gerne vorne weg. Ob sie den Mörder jemals schnappen würden, wusste sie nicht. Aber eins stand fest: Hirschmann würde in einem spektakulären Mordfall wie diesem alles dransetzen, um sich am Ende den Lorbeerkranz aufzusetzen.
22
Die Mail, die ein Unbekannter auf ihren vorübergehenden Arbeitsplatz im Roten Salon gelegt hatte, ärgerte Verena. Darüber würde noch ein Wörtchen mit dem Staatssekretär zu reden sein. Der Maulkorberlass war eine Frechheit. Die Verfügung an die Mitarbeiter unter Hinweis auf die Hausmitteilung Nummer 8 zur Regelung der Verschwiegenheitspflicht suggerierte, dass die Polizei erpicht darauf war, interne Dienstvorgänge in die Öffentlichkeit zu bringen. Wer wohl die Mail auf ihren Platz gelegt hatte? Wer immer es gewesen war, er konnte den Staatssekretär nicht leiden. In diesem Haus waren Antipathien anscheinend deutlich ausgeprägter als Sympathien.
Sie schenkte sich Kaffee ein. Noch nicht einmal elf Uhr und die vierte Tasse. Es würde nicht die letzte sein. Während sie den viel zu starken Kaffee schlürfte, klopfte es. Der schick gekleidete Mann mittleren Alters schien guter Dinge zu sein. Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, während er sich vorstellte.
Sie stellte die Tasse beiseite. „Guten Morgen, Herr Meyer, schön, dass es endlich mit uns klappt. Gestern waren Sie nicht auffindbar.“
Er ignorierte den sarkastischen Unterton, schüttelte mit einer leicht angedeuteten Verbeugung ihre Hand, bevor er ihr gegenüber Platz nahm. „Ich war im Wirtschaftsministerium, Besprechungen mit Kollegen, aber jetzt stehe ich voll und ganz zu Ihrer Verfügung, Frau Kriminalrätin.“
Besprechungen? Verena dachte sich ihren Teil. „Ich möchte mit Ihnen über Ihren früheren Chef sprechen. Es heißt, dass Sie einen guten Draht zu ihm hatten.“
Meyer lächelte geschmeichelt. „Heise gehörte nicht zu der Sorte Vorgesetzte, die einen guten Draht zu Mitarbeitern pflegen. Er war ein harter Hund, hat eine Menge von seinen Leuten verlangt, reagierte schnell ungehalten. Hat sogar mit Aktendeckeln nach Mitarbeitern geworfen, einmal sogar mit einem Kaffeebecher.“
„Wer war die Zielscheibe?“
„Ministerialrätin Britta König. Die hatte nicht viel zu lachen. Kaum war eine Vorlage fertig, wollte er sie anders haben, als noch kurz zuvor besprochen. Frei nach der Devise: Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Politik ist ein schnelllebiges Geschäft und Heise war mehr Politiker als Beamter.“
„Und Sie hatten trotzdem keine Probleme mit ihm?“
„Nein, mich mochte er.“ Sein breites Lächeln signalisierte: Wer mag mich nicht?
„Außerdem hat mein Aufgabenbereich ihn nicht interessiert. Das hat mein Dasein in seiner Abteilung ungemein erleichtert.“
„Ihre Aufgabe ist …?“
„Entwicklungszusammenarbeit des Landes. Viel Geld haben wir nicht, ich kann deshalb nur zwei Projekte im Jahr fördern. Im Moment engagieren wir uns im Jemen, davor in Namibia.“
Daher wehte also der Wind. Meyer, der einen durchaus intelligenten Eindruck machte, spielte aus Langeweile den Hofnarren. Konnte es sein,
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