Die Staatskanzlei - Kriminalroman
der in Kürze ernannt werden sollte, würde bestimmt seine eigene Assistentin mitbringen.
Aus ihren Schilderungen klang nicht nur Verbitterung durch. Das hörte sich nach jahrelang unterdrückter Wut an. Gesine Terberg war mit sich und der Welt nicht im Reinen.
Es gibt zu viele unzufriedene Menschen in diesem Land, dachte Verena, während sie den larmoyanten Ausführungen der Frau zuhörte. Deutschland war eines der reichsten Länder der Welt und doch stieß sie bei ihren Ermittlungen immer wieder auf unglückliche, mit ihrem Schicksal hadernde Menschen. Menschen, die Verletzungen nicht überwunden hatten. Menschen, bei denen Missgunst und Neid das Denken bestimmten, die sich an nichts mehr erfreuen konnten. Menschen, an denen das Gefühl nagte, im Leben zu kurz gekommen zu sein.
Bei Gesine Terberg kam noch mehr hinzu. Gestik und Mimik passten nicht zu ihren Worten. Verena konnte das Gefühl nicht loswerden, dass ihr Gegenüber eine Rolle spielte. Und noch etwas machte sie stutzig. Der Ausdruck ihrer ständig umherwandernden Augen, die Unruhe, die von ihr ausging. Unentwegt presste sie ihre Finger ineinander, um sie dann wieder zur Faust zu ballen, zwischendurch die Arme zu verschränkten, bevor das Ganze von vorne losging. Sie war nicht nur nervös wie Irene Heise, ihre Unruhe war krankhaft.
Im Fokus der Unterhaltung stand Ministerialrätin König. Gesine Terberg musste nicht gefragt werden, ob sie die Referatsleiterin für verdächtig hielt. Unaufgefordert gab sie zu Protokoll, dass sie der Kollegin einen Mord zutraute.
Verena war erleichtert, als das Gespräch vorbei war. Die Frau hatte Unbehagen bei ihr ausgelöst, ein beklemmendes Gefühl, das sie nicht näher beschreiben konnte. Und trotzdem: Als Täterin kam sie vermutlich nicht infrage. Es fehlte das Motiv. Im Gegenteil, sie würde durch den Tod ihres Vorgesetzten womöglich berufliche Nachteile hinnehmen müssen.
Umgänglicher gab sich der Personalratsvorsitzende. Regierungsrat Ballauf hatte die Statur eines tapsigen Bären. Dazu krause Haare, ein offenes, rundes Gesicht, große braune Augen. Ein Mann zum Knuddeln. Anders als Meyer beherzigte er den Maulkorberlass, beantwortete ihre Fragen nur zögernd, jedes Wort abwägend.
„Ja, es hat gelegentlich Streit zwischen Herrn Heise und Frau König gegeben. In einer obersten Landesbehörde, wo tagtäglich komplexe Entscheidungen anstehen, ist das nichts Ungewöhnliches“, räumte er ein.
Auf ihre Frage, ob er seiner Kollegin den Mord zutraue, reagierte er empört. „Auf keinen Fall. In der Staatskanzlei werden Sie den Täter nicht finden. Niemals. Suchen Sie in Heises privatem Umfeld, von uns war es niemand.“
„Vielleicht ein ehemaliger Mitarbeiter? Eine Strafversetzung oder Kündigung?“, hakte Verena nach.
Auch davon wollte ihr Gegenüber nichts wissen. Staatssekretär Haders würde seine helle Freude am Personalratsvorsitzenden haben. Jochen Niemann, Leiter der Personalabteilung, äußerte sich ähnlich. Er war ein zurückhaltender, höflicher Mann mit ausnehmend guten Umgangsformen. Auf seiner Stirn hatten sich tiefe Sorgenfalten eingegraben. Trotz seiner hohen Position trat er bescheiden auf. Es wunderte Verena nicht, dass er sich mit Heise gut verstanden hatte. Sich mit einem Mann wie Niemann zu überwerfen, war kaum möglich.
„Befreundet waren wir nicht, das wäre zu viel gesagt. Aber wir haben uns gut verstanden, sind gelegentlich zusammen essen gegangen. Und was das schlechte Arbeitsklima in Heises Abteilung angeht, da habe ich mich rausgehalten. Ging mich nichts an.“
Nach Britta König befragt, räumte Niemann ein, dass sein Kollege mit Nachdruck ihre Versetzung betrieben habe. Noch sei nichts entschieden gewesen. Der Ministerpräsident hatte das letzte Wort und der habe Frau König geschätzt und sich Bedenkzeit erbeten. „Besondere Vorkommnisse in der zurückliegenden Zeit? Nicht, dass ich wüsste. Ganz bestimmt keine, die ein Mordmotiv hergeben“, stellte Niemann fest, bevor er Einbrecher als Täter ins Spiel brachte. Europol einzuschalten, sei ratsam. Das Letzte, was die erfahrene Ermittlungsbeamtin brauchte, waren Ratschläge eines Schreibtischbeamten. Als er ging, hatte sie das ungute Gefühl, dass er etwas vor ihr verbarg.
Gegen sieben Uhr hatte Verena die Nase voll. Sie war müde und ausgebrannt. Der heutige Tag hatte sie kein Stück weitergebracht. Nichts war frustrierender als Ermittlungen, die auf der Stelle traten. Auf dem Weg zum schneebedeckten Parkplatz erinnerte
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