Die Staatskanzlei - Kriminalroman
davon ausgehen, dass der Mord mit der Regierungszentrale zu tun hat. Ist Ihnen vielleicht jemand erinnerlich, der sich mit den beiden überworfen hat, ein aufgebrachter Bürger, ein frustrierter Mitarbeiter, ein erboster Unternehmer?“
Er deutete auf das Sofa. „Warum setzen wir uns nicht? Meine Zeit ist allerdings knapp bemessen. Um auf Ihre Frage zurückzukommen. Das haben wir uns natürlich auch schon gefragt und niemand ist uns eingefallen.“
Jetzt bemerkte sie, dass sein Blick wohlwollend war und sich am Ausschnitt ihrer Bluse festmachte. Sie beglückwünschte sich dazu, dass sie heute ihren neuen, eleganten Hosenanzug und das farblich dazu passende hellblaue Top angezogen hatte.
Das Antwort- und Fragespiel ging eine Weile hin und her, ohne dass etwas dabei herauskam, was ihr weiterhelfen würde. Sie hätte liebend gerne die Korruption, in die Heise verwickelt gewesen war, angesprochen. Die Weisung ihres Direktors war allerdings unmissverständlich gewesen. Er würde es ihr nicht verzeihen, und nichts lag ihr ferner, als Jürgen Ritter zu verärgern.
Dann schaute er auf seine Uhr und sagte: „Sorry, ich muss weg. Eine wichtige Sitzung in der Parteizentrale. Danach muss ich nach München, ein nicht aufschiebbarer Termin. Ich gebe Ihnen den guten Rat, suchen Sie den Täter oder die Täterin außerhalb der Staatskanzlei. Vielleicht stecken Atomkraftgegner dahinter, denen der Ausstieg nicht schnell genug geht und die jetzt Angst und Schrecken in meiner Staatskanzlei verbreiten wollen. Oder Neonazis. Niedersachsen hat sich für das Verbot der NPD ausgesprochen. Auch islamistische Terroristen will ich nicht ausschließen. Die Gewaltspirale in unserer Gesellschaft hat beängstigende Formen angenommen. Manchmal frage ich mich, ob die Polizei …“
Er unterbrach sich. „Lassen wir das. Sie tun bestimmt Ihr Bestes.“ Der Ton, in dem er das sagte, machte klar, dass er das Gegenteil dachte. Bevor sie etwas sagen konnte, war er auf und davon. Aus dem angrenzenden kleinen Raum folgten ihm zwei Sicherheitsbeamte, die Verena einen aufmunternden Blick zuwarfen. Aufmunterung kann ich gut gebrauchen, dachte sie, während sie hinter den hoch gewachsenen Männern Richtung Ausgang eilte.
45
M ÜNCHEN
„Wir hätten früher aufbrechen müssen, wir werden zu spät kommen“, wetterte der Ministerpräsident. „Tut mir leid, aber der Stau war nicht angekündigt“, entschuldigte sich sein Fahrer.
„Man hätte es voraussehen können. Ach, was sage ich, MÜSSEN. Jedes Kind weiß, was morgens um acht zwischen der City und Grünwald los ist. Wir sind hier in München, guter Mann. München, nicht Hannover. Von meinem Fahrer kann ich erwarten, dass er sich vorbereitet. Solche Situationen muss man vorhersehen!“
„Der Begleitschutz hat gemeint, wir schaffen den Weg in einer halben Stunde, es sind ja nur zehn Kilometer“, rechtfertigte sich der Fahrer. Der Ministerpräsident war mit dem falschen Bein aufgestanden. Seine Mitarbeiter mussten es ausbaden. Wagner kannte das schon, meistens hielten diese Phasen nicht lange an. „Ich hoffe nur, dass der Konsul uns die Zeit nicht berechnet, die wir zu spät kommen. Bei einem Stundensatz von 2000 Euro kann das meine Partei verdammt teuer zu stehen kommen.“
„Noch sind wir ja in der Zeit“, kam Wagner dem gescholtenen Fahrer zu Hilfe. „Wir hatten halb neun ausgemacht. Und jetzt ist es …“
„Sie müssen mir nicht sagen, wie spät es ist, Wagner. Ich weiß das. Und jetzt hören Sie auf zu reden, ich möchte mich auf den Termin vorbereiten.“
Fragt sich, was es da vorzubereiten gibt, dachte Wagner und lehnte sich weit in den weichen Ledersitz der gepanzerten Dienstlimousine zurück. Weshalb sein Chef, der mit Rücksicht auf die Morde fast alle anderen Termine abgesagt hatte, ausgerechnet an dem Treffen mit Konsul von Holzhausen festgehalten hatte, war ihm ein Rätsel. Selbst wenn der Konsul als erste Adresse in Deutschland für Imageaufwertung galt. Man sollte doch meinen, dass den Ministerpräsidenten im Moment andere Sorgen umtrieben als sein Ranking.
Fünf Minuten nach halb neun erreichten sie die in der Perlacher Straße gelegene Villa. Die Zufahrt zum Grundstück wurde durch ein hohes schmiedeeisernes Tor versperrt. Bevor der Fahrer den Klingelknopf betätigen konnte, öffnete sich das Tor. Das Grundstück musste einige Tausend Quadratmeter groß sein. Im Frühjahr und Sommer würde der Vorgarten eine einzige bunte Blütenpracht sein. Jetzt zeugten kahle, knorrige
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