Die Staatskanzlei - Kriminalroman
hatte. Auch seine Überheblichkeit war ihr tierisch auf die Nerven gegangen.
„Ich kenne einen Polizeipsychologen aus Hamburg, der seit Jahren viel beachtete Gutachten für den Senat und die Gerichte erstellt“, sagte Ritter in ihre düsteren Gedanken hinein.
Hamburg? Das hieß nicht Faustmann und war alle Mal besser. Es war unwahrscheinlich, dass ein zweites Exemplar des chaotischen Profilers unter den deutschen Kriminalpsychologen herumlief. „Der Mann heißt Dr. Bertram, er sitzt übrigens bereits im ICE nach Hannover.“
Ritter warf einen Blick auf seine wertvoll aussehende Goldarmbanduhr. „Er wird in fünfundvierzig Minuten am Hauptbahnhof eintreffen. Theoretisch jedenfalls. Ich fahre die Strecke jede Woche zweimal und kann mich nicht erinnern, dass der Zug ein einziges Mal pünktlich war.“
Der erwartungsvolle Ausdruck in seinen blauen Augen irritierte Verena. Erwartete er jetzt Freudentänze von ihr? Ihre Hoffnung, dass ein Profiler sie weiterbringen würde, selbst wenn er nicht Faustmann hieß, hielt sich in Grenzen.
Ritter bemerkte ihre Skepsis. „Verstehen Sie das nicht als Affront. Dr. Bertram soll Sie unterstützen, nicht Ihre Autorität als Leiterin der Soko infrage stellen.“
„Niemand würde das wagen“, bekräftige Hirschmann und zwinkerte dem Direktor zu.
„Dann ist es ja gut“, sagte Verena. Nichts, absolut nichts war gut. Als sie sich verabschiedete, hatte sie den Eindruck, dass Ritter ihr noch etwas sagen wollte. Doch es kam nichts.
51
Die zehnte Sitzung der Soko Heise verlief in angespannter Atmosphäre, die Nerven der Polizeibeamten lagen blank. Fast zwei Wochen waren nun schon seit dem ersten Mord vergangen und sie waren dem Täter keinen Schritt näher gekommen. Es gab einfach keine Fortschritte. Egal, welcher Spur auch immer sie nachgingen, sie endete im Nichts.
Der Druck auf das LKA stieg von Tag zu Tag. Niemanns Witwe hatte den zuständigen Landtagsabgeordneten aus Burgdorf eingeschaltet, der seinerzeit beim Innenminister interveniert hatte. Der Sohn hingegen legte nur verhaltenes Interesse an den Tag. Das Gespräch mit ihm hatte zur allgemeinen Überraschung Hinweise auf ein eher gestörtes Vater-Sohn-Verhältnis ergeben. Auch in Niemanns Leben hatte es demnach nicht nur Licht, sondern auch Schatten gegeben.
Verena informierte ihre Kollegen über ihre Gespräche mit Staatssekretär Haders und Niemanns Mitarbeitern. Ihre Dienstreise mit Hirschmann, der sich krankgemeldet hatte, und die Vernehmung des Imams ließ sie unter den Tisch fallen. Über den Kollegen Hirschmann wurde auch so genug gelästert.
Ein Beamter berichtete über die Auswertung der von der Staatskanzlei abgelehnten Petitionen und Bürgereingaben. „Die Beamten dort lassen es langsam angehen. Manche Eingaben sind erst nach mehrfacher Erinnerung und nach Monaten beantwortet worden.“
Stollmann konnte sich einen Seitenhieb nicht verkneifen. „Die reißen sich nicht den Arsch auf wie wir.“
Zustimmendes Murmeln im Raum, der vortragende Beamte verzog keine Miene und setzte seinen Bericht fort. „In keinem einzigen Fall ist dem Bürgerbegehren stattgegeben worden. Die Staatskanzlei hat die Entscheidungen der unteren Behörden entweder bestätigt oder sich für nicht zuständig erklärt. Meistens war Letzteres der Fall. Ein Bürger hat ziemlich sauer reagiert und der Regierung Untätigkeit und Unvermögen vorgeworfen. Es ging um ein BGH-Urteil, das die Gerichte in Niedersachsen angeblich torpediert haben. Die Staatskanzlei hat erst nach mehrfacher Aufforderung Stellung genommen und letztlich auf die Unabhängigkeit der Gerichte verwiesen.“
„Da fragt man sich, wofür die überhaupt da sind“, bellte Stollmann erneut dazwischen. „Eins steht fest: für uns Bürger jedenfalls nicht.“
Verena wollte kein Geplänkel über die politischen Verhältnisse in diesem Land. „Der Name des Bürgers?“
„Können wir vergessen. Habe ich längst überprüft. Der Mann hat vor einem Jahr Selbstmord begangen, stand sogar in der Zeitung. Seit fünf Jahren liefen seine Prozesse, ein Ergebnis war nicht absehbar. Er hat alles verloren, sein Haus, seine Ersparnisse, seinen Job und zuletzt auch noch seine Frau. Von Hartz IV wollte er augenscheinlich nicht leben.“
Erneute bissige Kommentare von Stollmann waren die Folge. Es kostete Verena einige Mühe, die Aufmerksamkeit der Runde wieder auf die Mordfälle zu lenken. Nach einigem Hin und Her bestand Einigkeit, dass vermutlich niemand aus Frust über die
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