Die Staatskanzlei - Kriminalroman
allerdings, dass er das nicht tut. Es wäre ein Segen für unser Land, wenn er endlich zurücktreten würde.“ Ein erneutes tiefes Seufzen folgte seinen Worten.
Der Innenminister hielt Totschweigen für die beste Lösung. „Dass Milner sich Niedersachsen als seine Spielwiese ausgesucht hat, liegt nicht in unserer Hand. Weshalb sollten ausgerechnet wir der erstaunten Öffentlichkeit die mehr als heikle Sache auf dem goldenen Servierteller präsentieren? Es würde die Bürger verunsichern. Und Angst produziert Wut. Ich habe die Schilderungen meines früheren Kollegen aus Stuttgart noch gut im Ohr. Wutbürger in Hannover, das schmeckt mir gar nicht.“
Er nieste erneut, fuhr dann fort: „Wenn es Milner nur um das Salz in der Suppe, die Rendite, geht, können wir damit umgehen. Solange die Gewinne sprudeln, wird er seine Anteile halten. Wenn nicht, wird es verdammt ungemütlich für uns. Bei deutschen Unternehmern können wir Druck ausüben, die haben ihren Lebensmittelpunkt hier. Ausländischen Investoren pellen sich ein Ei darauf, was deutsche Regierungen denken oder wollen. Auch deshalb sind wir klug beraten, das Investment dieses Russen nicht an die große Glocke zu hängen.“
„Okay, Krause, sitzen wir die Sache aus. Wenn ich mich im Kreise meiner geschätzten Ministerpräsidentenkollegen umschaue, ist Aussitzen nicht selten die klügste Form der politischen Fortbewegung.“
Der Ministerpräsident wandte sich Wagner zu und reichte ihm das Blatt Papier. Es handelte sich um eine Aufstellung, die, wie sich herausstellte, Britta König in Heises Schreibtischschublade gefunden und dem Ministerpräsidenten ausgehändigt hatte. Der Kommentar des Regierungschefs fiel bissig aus. „Die Deppen vom LKA müssen sie übersehen haben oder waren zu blöd, die Bedeutung zu erkennen. Heise muss sie kurz vor seinem Tod angefertigt haben. Nehmen Sie die Aufstellung mit in Ihr Büro und prägen sich die Firmennamen ein. Danach will ich sie wieder haben, keine Kopien, verstanden! Ich erwarte von Ihnen, dass Sie ab sofort mein Frühwarnsystem in dieser Angelegenheit sind. Sollte Ihnen ein Gerücht wegen einer der dort aufgeführten Firmen zu Ohren kommen, will ich umgehend unterrichtet werden.“
Bernd Wagner nickte ergeben. Zwei ungelöste Mordfälle, Dauerstreit in der niedersächsischen Regierungskoalition, die Finanzkrise, dazu eine gnadenlos überforderte Finanzministerin, die vom stellvertretenden Oppositionsführer am Gängelband geführt wurde. Und jetzt eine weitere Baustelle!
Sein Chef war noch nicht fertig. „Was machen die Ermittlungen in den Mordfällen, Krause? Sollte nicht ein Profiler hinzugezogen werden?“
Der Innenminister bestätigte das. „Mit einem belastbaren Täterprofil ist vor Ende der Woche allerdings nicht zu rechnen. So etwas braucht Zeit“, erklärte er.
Der Ministerpräsidenten reagierte ungehalten. „Zwei meiner engsten Mitarbeiter sind erschossen worden, meine Mitarbeiter zittern vor Angst, dass das Morden weitergeht. Kaum jemand in meinem Laden ist noch in der Lage, halbwegs vernünftige Arbeit abzuliefern. In Brüssel und Berlin schert sich kein Schwein darum, wie ich die notwendigen Entscheidungsvorlagen geregelt kriege. Und Sie sprechen von Zeit und Ihr schlafmütziges LKA schiebt Dienst nach Vorschrift. Ich fass es nicht!“
„Mitnichten“, widersprach Krause. Dann lieferte er einen langatmigen Bericht über den Stand der Ermittlungen ab, der allerdings keine belastbaren Ergebnisse zutage förderte. Der Chef haute mit der Faust auf den Tisch. „Ich gebe dieser Soko Heise, oder wie immer sie sich nennt, noch eine Woche. Wenn sie bis dahin keinen Täter präsentiert, schicken Sie die Leiterin in die Wüste, Krause. Ich räume gern ein, dass die Frau ansprechend aussieht. Sie hat mich kürzlich vor meinem Büro angesprochen. Durchaus attraktiv, die Dame. Aber wir sind hier nicht auf einem Schönheitswettbewerb, Krause. Es geht um Mord. Die Gute scheint gnadenlos überfordert zu sein. Und der neuen Direktor auch. Er erfüllt die in ihn gesetzten Erwartungen bei Weitem nicht. Ich befürchte, die Hamburger Kollegen haben uns ein Kuckucksei ins Nest gesetzt. Sieht den arroganten Hanseaten ähnlich.“
Der Innenminister widersprach erneut, hob die Kompetenz des neuen LKA-Direktors hervor. Der Schlagabtausch zog sich hin und es war nach Mitternacht, als Wagner in Gedanken versunken endlich nach Hause kam. Was, wenn dieser Russe mit den Morden zu tun hatte? Keine angenehme Vorstellung.
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