Die Staatskanzlei - Kriminalroman
Den dunklen Golf, der vor seinem Haus parkte, nahm er nicht wahr. Die Frau, die hinter dem Steuer saß und ihn beobachtete, auch nicht.
In dieser Nacht schlief er tief und fest. Im Traum begegnete ihm eine schwarzhaarige Frau mit einer Pistole. Sie entführte ihn in eine Konditorei. Eine Kellnerin, die erstaunliche Ähnlichkeit mit seiner Kollegin Sybille Becker aufwies, servierte heiße Schokolade mit Mandelhörnchen. Gerade als er den ersten Bissen zu sich nehmen wollte, setzte die fremde Frau ihre Pistole an seinen Hinterkopf und drückte ab. Dann wachte er schweißgebadet auf. Es war sieben Uhr und höchste Zeit aufzustehen.
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Die vielen Menschen und das Gedränge an den Marktständen lösten Panik bei ihr aus. Sie hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Sie presste ihre Handtasche an sich und bahnte sich ihren Weg an gut besuchten Imbissständen vorbei Richtung Ausgang. Begierig atmete sie die kühle Luft vor der Markthalle ein
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Draußen hatte sich überraschend die Sonne durch die Wolkendecke gekämpft. Der Schnee auf den Straßen und Bürgersteigen war zu Haufen zusammengekehrt. Nur die Dächer der umliegenden Häuser waren noch mit einer weißen Puderschicht bedeckt. Das Alte Rathaus gegenüber der Markthalle sah aus wie blank geputzt. Mit seiner roten Backsteinfassade hätte es an diesem sonnigen Vormittag ein wunderbares Fotomotiv abgegeben
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Sie ging die Straße entlang und betrat die Apotheke. Die Frau hinter dem Tresen grüßte sie freundlich, als sie das Rezept entgegennahm. Sie wusste, was passieren würde. Erst würde die Frau bestürzt gucken, sich dann fassen und sie verstohlen mustern, während sie ihr die Neuroleptika aushändigte. Die Tabletten würden in der Toilette landen, so wie die anderen auch
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Schizophrenie war keine normale Krankheit, sie wurde noch immer als etwas Angsteinflößendes und Anstößiges betrachtet. Ich bin nur eine von einer Millionen an Schizophrenie erkrankten Deutschen, hätte sie der Apothekerin, deren geschäftsmäßiges Lächeln einer Mischung aus Unbehagen und Hilflosigkeit gewichen war, gerne entgegengeschleudert. Sie riss sich am Riemen, nahm die Tabletten an sich und zahlte die Rezeptgebühr
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Wieder draußen, entschloss sie sich zu einem kurzen Spaziergang. Sie schlenderte Richtung Leineschloss, dem Sitz des Niedersächsischen Landtages. Irgendwann in den nächsten Jahren würde der Vorbau aus der Nachkriegszeit abgerissen werden, um einem protzigen Neubau aus Glas und Stahl Platz zu machen. Die Politiker hatten es so beschlossen, ungeachtet der vehementen Bürgerproteste. Es war überall dasselbe, Stuttgart, Köln und Hannover. Erst einmal in Amt und Würden, scherten sich die Politiker keinen Deut um den Wählerwillen
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Als sie am Leineufer entlangspazierte, fühlte sie sich wie befreit. Ihre Gedanken wanderten zurück in die Vergangenheit, als sie Michael kennengelernt hatte. Damals war sie sicher gewesen, die Krankheit überwunden zu haben. Doch dann hatte sie einen Rückfall bekommen. Ihre Angst, dass er sie verlassen würde, war unbegründet. Er hatte sich rührend um sie gekümmert
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Als er seinerseits Schwierigkeiten in der Staatskanzlei bekommen hatte, wusste sie, dass sie ihm helfen musste. Sie hatte die Dinge in die Hand genommen und Heise auf dem Parkplatz der Staatskanzlei abgefangen. Es drängte ihn nach Hause. Nicht einmal zuhören wollte er ihr. Wie einen räudigen Hund hatte er sie weggeschickt
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Niemann hatte ihr zugehört, wenigstens das, aber geholfen hatte er auch nicht. Und Wagner hatte sogar Mitgefühl gezeigt, und dennoch hatte auch er nichts unternommen. Alle hatten sie im Stich gelassen. Dann waren die Stimmen zurückgekommen und hatten ihr gesagt, dass alles gut werden würde. Als sie Michael davon erzählt hatte, hatte er geweint. Und wenig später hatten die Stimmen ihr verraten, dass er eine Neue hatte. Sie verdrängte das Bild von Michael und seinem zerquetschten Körper mit den abgetrennten Beinen. Ein Selbstmord, hatten sie gesagt
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Nach ihrem Zusammenbruch hatte sie den Ärzten in der MHH von den Außerirdischen erzählt. Wenig später war sie in die psychiatrische Klinik in Ilten eingewiesen worden. Ihr Erinnerungsvermögen an die Zeit, die sie dort verbracht hatte, war getrübt. Meistens hatte sie geschlafen oder vor sich hin gedämmert. In den wenigen Stunden, in denen sie wach war, hatte sie Unmengen von Essen verschlungen. Ständig hatte sie Hunger gehabt. Später war sie mit Mal- und Gesprächstherapien und
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