Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1
widersetzende Verschwinden der beiden Männer. Beide waren sie weithin bekannt, der eine als Schriftsteller, der andere als Künstler; wirtschaftlich ging es ihnen gut, keiner von ihnen hatte ernsthafte Sorgen oder Schwierigkeiten. Genau genommen gab es keinen vernünftigen Grund für ihr Verschwinden, es sei denn, man akzeptiert die merkwürdige Erklärung, die das Tagebuch liefert.
Zunächst hielt ich das Ganze, wie bereits in meinem Vorwort erwähnt, für einen ausgeklügelten Streich. Doch als Wochen und Monate vergingen und allmählich ein Jahr daraus wurde, ohne dass die beiden mutmaßlichen Scherzbolde wieder auftauchten, ließ sich diese Annahme nicht mehr aufrechterhalten.
Nun bin ich zumindest in der Lage zu bestätigen, dass alles, was Angarth schrieb – und noch weit mehr – der Wahrheit entspricht. Denn auch ich weilte in Ydmos, der Stadt der Singenden Flamme, und habe die überirdische Pracht und die Verzückung der Inneren Dimension kennengelernt. Davon muss ich berichten, auch wenn es sich kaum in menschliche Worte fassen lässt, ehe die Vision verblasst. Denn diese Dinge wird niemand, weder ich noch sonst ein Mensch, jemals wieder erleben oder zu Gesicht bekommen.
Ydmos liegt in Trümmern, es ist eine Ruinenstadt, der Brunnen der Singenden Flammen an seinem Quell leckgeschlagen und der Feuertempel gesprengt, nur die Grundmauern im gewachsenen Fels stehen noch. Die Innere Dimension ist Vergangenheit, geborsten wie eine Blase in dem großen Krieg, mit dem die Herrscher der Außenregionen Ydmos überzogen ...
Nachdem ich Angarths Tagebuch endlich aus der Hand gelegt hatte, war ich nicht mehr in der Lage, die eigentümlichen, quälenden Fragen, die es aufwarf, zu vergessen. Angarths Geschichte war zwar vage genug, doch was er andeutete, eröffnete völlig neue Perspektiven, eine Ahnung halb enthüllter Geheimnisse, die meine Fantasie nicht mehr losließen. Mir bereitete Sorgen, dass hinter all dem etwas Großes, Mystisches stecken könnte, eine kosmische Gegebenheit, von der unser Erzähler wohl lediglich die äußersten Schleier und Randbereiche wahrgenommen hatte. Die Zeit verstrich, und ich ertappte mich dabei, wie ich ständig darüber nachdachte. Mehr und mehr bemächtigte sich meiner ein Gefühl der Ehrfurcht, und ich begriff, dass kein Schriftsteller, nicht einmal in seinen wildesten Fantasien, sich ein solches Garn hätte ausdenken können.
Im Frühsommer 1939 – ich hatte gerade einen neuen Roman fertiggestellt – war ich endlich in der Lage, mich frei zu machen, um ein Projekt in Angriff zu nehmen, das mir schon längere Zeit durch den Kopf ging. Ich ordnete meine Angelegenheiten, klärte noch ein paar Kleinigkeiten meiner literarischen Arbeit und erledigte, für den Fall, dass ich nicht zurückkehren sollte, meine Korrespondenz. Anschließend verließ ich mein Zuhause in Auburn unter dem Vorwand, eine Woche Urlaub zu machen. Tatsächlich jedoch begab ich mich nach Summit in der Absicht, die Umgebung, wo Angarth und Ebbonly verschwunden waren, genauer in Augenschein zu nehmen.
Mit einem sonderbaren Gefühl suchte ich die verlassene Blockhütte südlich von Crater Ridge auf, die Angarth bewohnt hatte, und erblickte den aus Kieferbrettern roh gezimmerten Tisch, an dem mein Freund sein Tagebuch geschrieben und anschließend das fest verschlossene Päckchen zurückgelassen hatte mit der Verfügung, es nach seinem Abschied an mich zu senden.
Über der Hütte lastete eine merkwürdige, unheimliche Einsamkeit, fast so, als ob die Unendlichkeit den Ort bereits für sich beanspruchte. Die Last der Schneewehen hatte die unverschlossene Tür im Winter nach innen gedrückt und über die Schwelle waren Tannennadeln gerieselt, die nun auf dem schon lange nicht mehr gefegten Boden verstreut lagen. Ich weiß nicht weshalb, aber wie ich so dastand, erschien mir die bizarre Erzählung mit einem Mal irgendwie wesentlich realer und glaubhafter, so als hafteten der Hütte noch immer übersinnliche Spuren all dessen an, was dem Verfasser widerfahren war.
Dieses rätselhafte Gefühl wurde stärker, als ich schließlich zum Crater Ridge aufbrach, um inmitten der Meilen pseudo-vulkanischen Gerölls nach den beiden Findlingen zu suchen, die den Sockeln eingestürzter Säulen ähnelten und die Angarth so ausführlich beschrieben hatte. Da sein Tagebuch jedoch keine Angaben über ihren Standort machte, durchkämmte ich das gesamte Gebiet vom einen Ende zum anderen. Dazu folgte ich dem nordwärts führenden
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