Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1
stets von anderen Pilgern umgeben. Wie von einer starken Strömung mitgerissen, wurden wir von unserem Bestimmungsort angezogen. Während wir durch die Halle mit den riesenhaften Statuen schritten und uns dem Feuerbrunnen näherten, schoss mir für einen kurzen Augenblick durch den Kopf, dass wir uns in Gefahr befanden, und einmal mehr versuchte ich, Ebbonly zu warnen. Doch all meine Einwände waren vergebens: Er war taub wie ein Roboter und für nichts empfänglich, außer der unerbittlichen Melodie. Sein Gesichtsausdruck war der eines Schlafwandlers und so bewegte er sich auch. Noch nicht einmal als ich ihn packte und mit aller Kraft schüttelte, nahm er von mir Notiz.
Die Schar der Betenden war größer als bei meinem letzten Besuch. Die gleißende, weiß glühende Flamme war im Begriff, immer höher zu steigen, als wir eintraten, und sang mit der wahren Leidenschaft und Ekstase eines einsam durch den Weltenraum treibenden Sterns. Aufs Neue erzählte sie in unbeschreiblichen Klängen vom Verzücken der Motte, die in ihrem Lodern verging, davon, welch eine Freude, welch ein Triumph es sein würde, sich innerhalb eines einzigen Augenblicks mit ihr zu vereinen.
Die Flamme stieg zu ihrem Scheitelpunkt empor und selbst für mich war ihre hypnotische Anziehungskraft nahezu unwiderstehlich. Viele der um uns Stehenden erlagen ihr, und als Erstes brachte sich das riesenhafte Schmetterlingswesen als Opfer dar. Vier weitere, gänzlich andere Geschöpfe folgten ihm erschreckend rasch hintereinander.
Auch ich war der Musik wenigstens zum Teil verfallen und musste meine gesamte Willenskraft aufbringen, ihrem tödlichen Lockruf zu widerstehen. Deshalb hätte ich Ebbonlys Anwesenheit fast vergessen. Als er losrannte, war es zu spät, auch nur daran zu denken ihn aufzuhalten. In langen, feierlich getragenen und doch zugleich wie rasend wirkenden Sätzen, so als wollte er einen rituellen Tanz beginnen, sprang er nach vorn und stürzte sich kopfüber ins Feuer. Die Flamme umfing ihn und loderte einen Moment lang in einem gleißenden Grün auf – das war alles.
Allmählich überkam mich das Grauen. Es kroch aus meinen betäubten Hirnzentren, breitete sich in meinem Bewusstsein aus und half, den tödlichen Bann zu brechen. Noch während zahllose andere Ebbonlys Beispiel folgten, wandte ich mich um und floh aus dem Tempel, aus der Stadt. Doch unterwegs – ich weiß nicht, warum – wich das Entsetzen von mir, und mehr und mehr beneidete ich meinen Gefährten um sein Schicksal. Ich fragte mich, was er wohl in dem Augenblick, in dem er im Feuer verging, empfunden haben mochte …
Nun, wo ich dies niederschreibe, wundere ich mich, weshalb ich wieder in die Welt der Menschen zurückgekehrt bin. Es gibt keine Worte, um auszudrücken, was ich gesehen und erlebt und wie sehr ich mich verändert habe angesichts des Widerstreits unvorstellbarer Kräfte in einer Welt, von der kein weiterer Sterblicher etwas ahnt. Die Literatur ist nichts als ein Schatten, das Leben mit seinen langwierigen, eintönigen, sich ständig wiederholenden Tagen unwirklich und bedeutungslos, verglichen mit dem herrlichen Tod, der mir um ein Haar vergönnt gewesen wäre – jenem wundervollen Schicksal, das immer noch auf mich wartet.
Ich habe nicht länger den Willen, mich der immer eindringlicheren Melodie zu erwehren, die ich in meiner Erinnerung höre. Und es scheint auch überhaupt keinen Grund zu geben, weshalb ich mich dagegen wehren sollte ... Morgen werde ich wieder in die Stadt zurückkehren.
Jenseits der Singenden Flamme
Selbst nachdem ich, Philip Hastane, das Tagebuch meines Freundes Giles Angarth veröffentlicht habe, hegte ich noch immer meine Zweifel, ob es sich bei den darin geschilderten Ereignissen nun um wirkliche Vorkommnisse handelte oder um Fiktion. Angarths und Ebbonlys Reise zwischen den Dimensionen, die Stadt der Flamme mit ihren seltsamen Einwohnern und Pilgern, Ebbonlys Opfertod und, im letzten Eintrag des Tagebuchs, die Andeutung, dass auch der Verfasser wieder dorthin zurückkehren wollte, um sich dem gleichen Schicksal zu ergeben – all dies war genau der Stoff, den Angarth für einen seiner fantastischen Romane erdacht haben könnte, mit denen er zu Recht berühmt geworden war.
Berücksichtigt man überdies, dass die ganze Geschichte unmöglich und unglaublich klingt, wird jeder meine Zurückhaltung verstehen, sie als wahr hinzunehmen.
Andererseits jedoch blieb immer noch das rätselhafte, sich hartnäckig jeder Erklärung
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